Verhandlung B 5 R 5/22 R
Rentenversicherung - Hinterbliebenenrente - Besitzschutz - Stichtag - Sozialversicherungsabkommen - Polen
Verhandlungstermin
21.12.2023 10:00 Uhr
Terminvorschau
J. Z.-O. ./. DRV Knappschaft-Bahn-See
Im Streit steht die Höhe einer großen Witwenrente.
Der beim beklagten Rentenversicherungsträger versicherte Ehemann der Klägerin siedelte im Juni 1990 aus der Republik Polen in die Bundesrepublik Deutschland über. Er war als Spätaussiedler anerkannt. Die Beklagte gewährte ihm Regelaltersrente unter Anwendung des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens von 1975. Der Versichertenrente lagen 9,8869 Entgeltpunkte aus der allgemeinen Rentenversicherung und 28,8858 Entgeltpunkte aus der knappschaftlichen Versicherung zugrunde. Nach dem Tod des Versicherten bewilligte die Beklagte der Klägerin, die 1992 in die Bundesrepublik übergesiedelt war, eine große Witwenrente. Dabei legte sie lediglich diejenigen (fiktiven) Entgeltpunkte des Versicherten zugrunde, die sich für ihn bei einer Übersiedlung ebenfalls erst im Jahr 1992 ergeben hätten (7,0965 Entgeltpunkte aus der allgemeinen Rentenversicherung und 17,3734 Entgeltpunkte aus der knappschaftlichen Versicherung).
Die Klage, gerichtet auf die Bewilligung einer großen Witwenrente unter Zugrundelegung der Entgeltpunkte, die Grundlage der Altersrente des verstorbenen Versicherten waren, ist in beiden Instanzen erfolgreich gewesen. Zwar seien bei der Berechnung der Hinterbliebenenrente die in Polen zurückgelegten Zeiten des Versicherten lediglich nach dem Fremdrentengesetz zu berücksichtigen, denn deutsch-polnisches Abkommensrecht sei auf die Ansprüche der nach dem Stichtag 31.12.1990 eingereisten Klägerin nicht anwendbar. Die Klägerin könne jedoch aus Besitzschutzgründen beanspruchen, dass ihrer Rente die höheren persönlichen Entgeltpunkte des Versicherten zugrunde gelegt würden.
Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte, mit der Gewährung eines weitergehenden Besitzschutzes werde der Wille der Parteien der deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen unterlaufen. Danach seien bei Personen, die nach dem Stichtag in die Bundesrepublik umgesiedelt seien, polnische Versicherungszeiten nur vom polnischen Versicherungsträger zu berücksichtigen.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Duisburg, S 14 KN 80/16, 21.02.2020
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 18 R 435/20, 14.12.2021
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Terminbericht
Der Senat hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Die Beklagte ist aus § 88 Absatz 2 Satz 1 SGB VI verpflichtet, der Klägerin eine große Witwenrente unter Zugrundelegung der persönlichen Entgeltpunkte zu gewähren, die Grundlage der Altersrente ihres verstorbenen Ehemannes waren.
Sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der Besitzschutzregelung sind erfüllt. Die Hinterbliebenenrente der Klägerin folgte unmittelbar auf die Versichertenrente und die für die Hinterbliebenenrente ermittelten persönlichen Entgeltpunkte blieben hinter denjenigen des verstorbenen Versicherten zurück. Der Besitzschutz erstreckt sich nach dem Gesetzeswortlaut auf die persönlichen Entgeltpunkte des verstorbenen Versicherten in ihrer Gesamtheit. Ein solch umfassender Besitzschutz entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Sie sichert das bisherige Rentenniveau, wahrt den erworbenen Lebensstandard des Versicherten und seiner Hinterbliebenen und schützt ihr Vertrauen in den Fortbestand der existenzsichernden Rentenleistungen in bisheriger Höhe.
Eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des § 88 Absatz 2 Satz 1 SGB VI ergibt nichts Abweichendes. Es sei dahingestellt, inwiefern dieser Grundsatz hier herangezogen werden kann, obwohl die Rentenansprüche der Klägerin gerade nicht nach dem deutsch-polnischen Abkommensrecht bestimmt werden. Für sie gilt die Verordnung (EG) Nr. 883/2004; nach dem europäischen Koordinierungsrecht berechnet sich die Höhe ihrer Hinterbliebenenrente nach nationalem Recht. Jedenfalls widerspricht die Anwendung der Besitzschutzregelung in § 88 Absatz 2 Satz 1 SGB VI nicht dem Willen der Vertragsparteien der deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen. Es werden weder Art noch Umfang der Zeiten verändert, die vom deutschen Rentenversicherungsträger zu berücksichtigen sind. Soweit die Beklagte beanstandet, dass bei der Berechnung der Hinterbliebenenrente der Klägerin polnische Zeiten einbezogen würden, die zugleich Grundlage der vom polnischen Träger gewährten Familienrente seien, findet dies seine Grundlage im Fremdrentengesetz.
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