Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 KR 3/22 R

Versicherungs- und Beitragsrecht - Gesellschafter-Geschäftsführer - in Liquidation befindliche - GmbH - Rechtsmacht

Verhandlungstermin 20.02.2024 11:15 Uhr

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U. U. ./. BIG direkt gesund

Der Kläger war seit 1986 als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH mit 50 vom Hundert der Geschäftsanteile tätig. Er war von 2006 bis Ende 2016 privat krankenversichert. Im Januar 2017 beschlossen die Gesellschafter die Liquidation der GmbH. Zum alleinvertretungsberechtigten Liquidator wurde der Bruder des Klägers bestellt. Am selben Tag schlossen die GmbH in Liquidation und der Kläger einen befristeten "Arbeitsvertrag" für eine Tätigkeit des Klägers als "Assistent des Liquidators". Eine Meldung zur Sozialversicherung erfolgte für diese Tätigkeit nicht. Der Kläger beantragte am 7. Februar 2017 seine Aufnahme als freiwilliges Mitglied der Beklagten, vollendete am 8. Februar 2017 sein 55. Lebensjahr und machte mit Schreiben vom 10. Februar 2017 die Aufnahme in die Pflichtversicherung geltend.

Im März 2017 schloss der Kläger einen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als Paketzusteller. Im April 2017 wurde die Liquidation der GmbH in das Handelsregister eingetragen. Im Mai 2017 schloss der Kläger einen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als Gas-Wasser-Installateur. Für beide Tätigkeiten wurde er vom jeweiligen Arbeitgeber zur Sozialversicherung angemeldet. Insoweit stellte die Beklagte die Versicherungsfreiheit des Kläger in der Kranken- und Pflegeversicherung fest. Hinsichtlich der Tätigkeit als Assistent des Liquidators der GmbH stellte sie fest, dass in den Zweigen der Sozialversicherung keine Versicherungspflicht bestehe.

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht hat ausgeführt, im Januar 2017 sei keine Pflichtversicherung entstanden. Der Kläger habe nach wie vor die Hälfte der Geschäftsanteile der in Liquidation befindlichen GmbH besessen und damit immer noch eine maßgebliche Einflussmöglichkeit auf den Inhalt der Gesellschafterbeschlüsse gehabt. Der neu bestellte Liquidator habe ihm keine Weisungen erteilen können. Zudem seien an eine fortbestehende Eintragung als Geschäftsführer im Handelsregister nach außen hin bestimmte Rechtsfolgen geknüpft. Der Kläger sei auch in seinen nachfolgenden Tätigkeiten ab März und Mai 2017 nicht versicherungspflichtig gewesen. Eine abhängige Beschäftigung habe er erst nach der Vollendung seines 55. Lebensjahres aufgenommen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 5 Absatz 1 Nummer 1 SGB V in Verbindung mit § 7 Absatz 1 SGB IV, Artikel 3 Absatz 1 GG und § 15 Handelsgesetzbuch. Er habe als Gesellschafter mit 50 vom Hundert des Stammkapitals nicht über die Rechtsmacht verfügt, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu erzwingen. Zudem sei er im Januar 2017 mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer abberufen und als Assistent des Liquidators beschäftigt gewesen. Er alleine habe dem Liquidator keine Weisungen erteilen können. Die Eintragung im Handelsregister habe lediglich deklaratorische Wirkung. Die negative Publizität habe auch keine Rechtsfolgen für ihn bewirkt. Jedenfalls habe die Beklagte sich bei Erlass des insoweit erlassenen Bescheids nicht mehr auf guten Glauben berufen können.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Potsdam, S 3 KR 476/17, 27.09.2019
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 9 KR 443/19, 28.05.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 2/24.

Terminbericht

Die Revision des Klägers hat zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht geführt. Das Berufungsgericht hat es unterlassen, die (möglichen) Arbeitgeber des Klägers zum Verfahren notwendig beizuladen. Zudem fehlt es an ausreichenden Feststellungen, um die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung abschließend beurteilen zu können.

Eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung in der ab Januar 2017 vereinbarten Tätigkeit als Assistent des Liquidators ist nicht bereits aufgrund seiner Stellung als Gesellschafter mit 50 vom Hundert der Geschäftsanteile ausgeschlossen. Ein mitarbeitender, nicht zum Geschäftsführer bestellter GmbH-Gesellschafter ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats regelmäßig abhängig beschäftigt. Die Stellung als Geschäftsführer hatte der Kläger mit der Bestellung seines Bruders zum Liquidator ab Januar 2017 nicht mehr inne. Die Beklagte durfte den Kläger auch nicht bis zur Änderung des Handelsregistereintrags im April 2017 weiterhin als deren Gesellschafter-Geschäftsführer behandeln. Gesellschaftsrechtlich war dem Kläger mit seiner Abberufung als Geschäftsführer die erforderliche Rechtsmacht innerhalb der Gesellschaft nicht mehr eingeräumt. Allein die Publizität des Handelsregisters begründet nicht eine die abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht.

Das Landessozialgericht hat allerdings Anhaltspunkte dafür gesehen, dass es sich bei dem am 3. Januar 2017 zwischen dem Kläger und der GmbH abgeschlossen "Arbeitsvertrag" um ein nur zum Schein eingegangenes Arbeitsverhältnis handeln könnte. Es hat dies allerdings im Ergebnis offen gelassen. Diese Umstände sind weiter aufzuklären.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 2/24.

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