Verhandlung B 4 AS 22/22 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Verkaufserlös - Fondsanteile - Schonvermögen - Vermögensumschichtung
Verhandlungstermin
28.02.2024 10:00 Uhr
Terminvorschau
T. ./. Jobcenter Stadt Kassel
Die 1993 geborene Klägerin bezog seit Mai 2011 Leistungen nach dem SGB II. Bei Antragstellung verfügte sie über Anteile an einem Investmentfonds. Ihr Depot enthielt zu diesem Zeitpunkt 62,299 Fondsanteile (Rückkaufswert je 42,05 Euro).
Der Beklagte bewilligte auf den entsprechenden Weiterbewilligungsantrag Leistungen ab 1. Mai 2015. Am 6. Mai 2015 verkaufte die Klägerin 44,50 Fondsanteile zu je 56,18 Euro. Die depotführende Bank bescheinigte der Klägerin für das Jahr 2015 einen Kapitalertrag in Höhe von 776,99 Euro, der ausschließlich auf diesem Verkauf beruhte. Der Beklagte erhielt hiervon Kenntnis. Er hob nach Anhörung der Klägerin die Bewilligung ab Mai 2015 teilweise auf und forderte die Erstattung von 543,86 Euro. Der Kapitalertrag sei als Einkommen auf sechs Monate zu verteilen.
Das Sozialgericht hat die Bescheide aufgehoben. Das Landessozialgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Der Kapitalertrag sei kein Einkommen. Die Klägerin habe ihr Vermögen lediglich umgeschichtet, indem sie die im Wert gestiegenen Fondsanteile verkauft habe.
Mit der Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 11 Absatz 1 Satz 1, Absatz 3 SGB II und § 103 SGG. Es liege keine reine Vermögensumschichtung vor. Die Erträge aus dem Verkauf von Fondsanteilen seien wie Kapitalzinsen zu behandeln und deshalb Einkommen. Auch sei weder festgestellt noch ermittelt worden, ob Ausschüttungen aus dem Fonds erfolgt seien. Dass es sich bei dem Kapitalertrag um Einkommen handele, ergebe sich zudem aus der entsprechenden steuerrechtlichen Einordnung.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Kassel, S 4 AS 347/17, 31.08.2018
Hessisches Landessozialgericht, L 6 AS 97/20, 24.08.2022
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 5/24.
Terminbericht
Der Senat hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Das Landessozialgericht hat seine Berufung zu Recht zurückgewiesen. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Der Kapitalertrag in Höhe von 776,99 Euro aus dem Verkauf der Anteile im Mai 2015 stellt kein Einkommen im Sinne des § 11 SGB II, sondern Vermögen im Sinne des § 12 SGB II dar. Die verkauften Fondsanteile waren bereits deshalb Vermögen, weil sie vor der ersten Antragstellung der Klägerin im Jahr 2011 in ihrem Eigentum standen. Dass sich der Wert dieser Fondsanteile im Laufe der Zeit erhöhte, berührt nicht deren Einordnung als Vermögen. Der Wert von Fondsanteilen ist nicht statisch festgelegt, sondern unterliegt Schwankungen. Eine Wertsteigerung ist keine Frucht aus den Anteilen vergleichbar einem Zins, da sie nicht eigenständig kapitalisierbar ist. An der Qualifizierung als Vermögen ändert sich auch nichts durch den Verkauf der Fondsanteile, weil er nur eine Vermögensumschichtung bewirkt hat.
Es liegt zwar nahe, dass Ausschüttungen aus Fondsanteilen nach damaliger Rechtslage Einkommen darstellten. Das Landessozialgericht hat aber festgestellt, dass im Jahr 2015 keine Ausschüttungen aus den Fondsanteilen an die Klägerin erfolgten. Die Aufklärungsrüge des Beklagten geht insoweit ins Leere. Die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen ist für die grundsicherungsrechtliche Abgrenzung von Einkommen und Vermögen unerheblich. Regelungskonzepte und Gesetzeszwecke beider Normbereiche unterscheiden sich wesentlich.
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