Verhandlung B 1 KR 24/22 R
Krankenversicherung - Arzneimittelversorgung - Cannabis
Verhandlungstermin
20.03.2024 14:00 Uhr
Terminvorschau
A. S. ./. AOK Bayern -Die Gesundheitskasse
Die Klägerin begehrt eine Genehmigung der Versorgung mit Cannabisblüten sowie die Erstattung hierfür bereits aufgewandter Kosten.
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin leidet unter anderem an einem chronischen Schmerzsyndrom und chronischer spinaler Spastik, zu deren Behandlung sie am 19. Juli 2017 die Genehmigung einer Cannabisversorgung unter Vorlage eines von ihrem Internisten ausgefüllten standardisierten Arztfragebogens beantragte. Dieser führte darin aus, es handle sich um eine schwerwiegende Erkrankung, andere medikamentöse Therapien seien wegen Nebenwirkungen abgesetzt worden. Die beabsichtigte Verordnung verschiedener Cannabisblüten und cannabishaltiger Fertigarzneimittel beschränkte er auf Nachfrage der Beklagten am 10. August 2017 auf 50 Gramm Bedrocan pro Monat.
Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), erbat noch weitere Unterlagen von der Klägerin und teilte ihr mit, eine weitere Prüfung werde bis spätestens 16. Oktober 2017 erfolgen. Unter Hinweis auf das Gutachten des MDK vom 25. Oktober 2017 lehnte sie den Antrag ab, weil die Behandlungsoptionen ‑ zum Beispiel eine schmerztherapeutische Behandlung im Rahmen eines multimodalen Gesamtkonzepts ‑ nicht ausgeschöpft seien.
Das Sozialgericht hat nach Einholung eines Gutachtens die Bescheide aufgehoben und die Beklagte - bis auf eine Erstattung der Versandkosten - antragsgemäß zur Zahlung von 1 316,87 Euro und zur künftigen Versorgung mit Cannabisblüten nach vertragsärztlicher Verordnung verurteilt. Das Landessozialgericht hat das vorinstanzliche Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Eine Genehmigungsfiktion sei nicht eingetreten. Da es an einer vertragsärztlichen Verordnung entsprechend den Vorschriften zur Verordnung von Betäubungsmitteln fehle, werde weder die Frist des § 13 Absatz 3a Satz 1 SGB V in Gang gesetzt, noch bestehe Anspruch auf Genehmigung der Versorgung mit Cannabisblüten nach § 31 Absatz 6 SGB V.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 31 Absatz 6 SGB V sowie des § 106 SGG.
Verfahrensgang:
Sozialgericht München - S 28 KR 1060/18, 22.11.2019
Bayerisches Landessozialgericht - L 4 KR 669/19, 24.03.2022
Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 9/24.
Terminbericht
Der Senat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin hat weder Anspruch auf die Erteilung einer Genehmigung zur Verordnung von Cannabisblüten nach § 31 Absatz 6 SGB V, noch auf Erstattung der ihr bereits entstandenen Kosten. Zwar erfordert die begehrte Genehmigung nicht eine bereits ausgestellte vertragsärztliche Verordnung, und es spricht auch einiges dafür, dass die Klägerin an einer schwerwiegenden Erkrankung leidet. Zur Behandlung der Klägerin steht aber nach den den Senat bindenden Feststellungen des Landessozialgericht die allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende multimodale Schmerztherapie zur Verfügung. Es bedarf daher einer begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, nach der diese Leistung unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann. Eine solche, nur auf Plausibilität überprüfbare Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, liegt nicht vor. Den vorgelegten Ausführungen des Vertragsarztes fehlt es an wesentlichen für eine Abwägung erforderlichen Angaben, ohne die eine Plausibilitätsprüfung nicht möglich ist. Eine Bezugnahme auf eine anderweitige Stellungnahme ersetzt die erforderliche eigene Abwägungsentscheidung grundsätzlich nicht. Die begründete Einschätzung des behandelnden Arztes ist Leistungsvoraussetzung und als solche - auch ohne gerichtlichen Hinweis - bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht von der Versicherten beizubringen oder erforderlichenfalls zu ergänzen. Bis zuletzt fehlte auch die für die Genehmigung nach § 31 Absatz 6 SGB V erforderliche Angabe der beabsichtigten Einzel- und Tagesdosis. Eine den Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Absatz 3a Satz 7 SGB V begründende Genehmigungsfiktion ist deshalb schon mangels hinreichender Bestimmtheit des Antrags nicht eingetreten.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 9/24.