Verhandlung B 9 SB 1/23 R - Der Termin wurde aufgehoben.
Schwerbehindertenrecht - Grad der Behinderung - Lese-Rechtschreib-Schwäche - Erwachsener - Berufsschulbesuch
Verhandlungstermin
21.03.2024 00:00 Uhr
Terminvorschau
A. B. ./. Landeshauptstadt Düsseldorf
Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung seines Grads der Behinderung (GdB) von 50 auf 40.
Als Ergebnis eines früheren Rechtsstreits zwischen den Beteiligten erließ die Beklagte ihren Bescheid vom 25. Juli 2012, mit dem sie bei dem Kläger ausgehend von den Funktionsbeeinträchtigungen "Seelisches Leiden, Anpassungsstörung" sowie "Lese- und Rechtschreibschwäche" rückwirkend ab 13. November 2007 einen GdB von 50 feststellte.
Der am 31. März 1994 geborene Kläger legte 2016 sein Abitur ab. Nach Abbruch seines zunächst aufgenommenen Biologie-Studiums begann er im September 2017 eine duale Berufsausbildung zum Chemikanten, die er im Januar 2021 erfolgreich abschloss.
Nach Durchführung medizinischer Ermittlungen und Anhörung des Klägers setzte der Beklagte 2017 den GdB auf 40 herab, weil sich die Auswirkungen der Beeinträchtigung "Seelisches Leiden, Anpassungsstörung" gebessert hätten.
Die dagegen erhobene Anfechtungsklage ist in beiden Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Sozialgericht hat zur Begründung auf das zwischenzeitliche Bestehen der Abiturprüfung verwiesen und angenommen, die Legasthenie des Klägers rechtfertige als leichte Schwäche ohne wesentliche Beeinträchtigung der Schulleistungen nur noch einen Einzel-GdB von 10, der sich nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirke.
Das Landessozialgericht hat dies im Ergebnis bestätigt, aber keine Feststellungen zum Schweregrad der mit der Lese-Rechtschreib-Schwäche einhergehenden Leistungs-beeinträchtigungen getroffen, sondern die Ansicht vertreten, deren Berücksichtigung sei beim Kläger bereits altersbedingt ausgeschlossen. In den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen der Versorgungsmedizin-Verordnung sei die Feststellung eines GdB wegen kognitiver Teilleistungsschwächen nur für Kinder und Jugendliche im Schul- und Jugendalter vorgesehen. Auch eine analoge Anwendung der Regelung komme nicht in Betracht.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Die bei ihm vorliegende Lese-Rechtschreib-Schwäche sei weiterhin GdB-relevant. Sie beeinträchtige ihn in der Berufsschule nicht weniger als in der Zeit bis zum Abitur. Der Versorgungsmedizin-Verordnung lasse sich nicht entnehmen, dass bei Erwachsenen eine GdB-Feststellung wegen kognitiver Teilleistungsschwächen wie der Legasthenie ausscheide. Zumindest sei insoweit eine Analogiebildung gerechtfertigt.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Düsseldorf, S 22 SB 2029/17, 9.4.2021
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 6 SB 198/21, 19.12.2022
Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 7/24.
Terminbericht
Der Termin wurde aufgehoben, weil sich das Verfahren erledigt hat.
Die Beklagte hat ihren angefochtenen Bescheid aufgehoben; daraufhin hat der Kläger die Anfechtungsklage zurückgenommen. Zuvor hatte der Senat die Beklagte darauf hingewiesen, dass für ihre Rechtsansicht, ein Grad der Behinderung wegen einer Legasthenie sei nach Teil B Nummer 3.4.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nur bis zum Erreichen der Volljährigkeit festzustellen, weil das dort vorausgesetzte “Schul- und Jugendalter“ durch einen Rückgriff auf § 7 Absatz 1 Nummer 2 SGB VIII zu konkretisieren sei, vor allem die Verwaltungspraktikabilität spreche. Zudem könnte andernfalls möglicherweise auch eine Ausdehnung auf Fälle erfolgen, in denen Erwachsene im vorgerückten Alter (gegebenenfalls erneut) schulische Bildungsangebote wahrnehmen. Unter dieser Prämisse wäre der angefochtene Herabsetzungsbescheid allerdings schon deshalb rechtswidrig, weil er dann nur auf die Rechtsgrundlage des § 45 SGB X gestützt werden könnte. Denn auch bei Erlass des Feststellungsbescheids vom 25. Juli 2012 hatte der Kläger das 18. Lebensjahr bereits vollendet, so dass es an einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X fehlte.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 7/24.