Verhandlung B 3 KR 7/23 R
Krankenversicherung - Hilfsmittelversorgung - Kostenerstattung - selbstbeschafftes Erwachsenendreirad mit Motorunterstützung
Verhandlungstermin
18.04.2024 13:00 Uhr
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S. R. ./. BARMER
Im Streit steht die Kostenerstattung für ein selbstbeschafftes Erwachsenendreirad mit Motorunterstützung durch die gesetzliche Krankenversicherung.
Die 1970 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin leidet unter multipler Sklerose, schmerzhaften Einschränkungen durch ein künstliches Sprunggelenk und Neuropathien in Händen und Füßen sowie Gleichgewichtsstörungen in Folge eines Mammakarzinoms mit erforderlicher Chemotherapie.
Den 2018 gestellten Antrag auf Versorgung zur Verbesserung und Erhaltung der Mobilität im Alltag mit einem ärztlich verordneten, im Hilfsmittelverzeichnis gelisteten Sesseldreirad zum Preis von (zu diesem Zeitpunkt) etwa 6800 Euro lehnte die Beklagte ab. Ihr Medizinischer Dienst halte das Dreirad nicht für indiziert, weil es nicht Teil eines Therapiekonzepts sei. Die Klägerin könne für den Erhalt ihrer Mobilität im Nahbereich auf einen Rollator verwiesen werden; darüber hinausgehende Mobilitätsbegehren fielen nicht in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen: Das Dreirad diene nicht der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung, sondern dem Behinderungsausgleich, um sich weitere Bewegungsräume zu erschließen und sei damit vom Leistungsanspruch in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst. Die nach Beschaffung eines Erwachsenendreirads auf Kostenerstattung in Höhe von knapp 10 000 Euro gerichtete Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht zurückgewiesen: Im Übergang zur Kostenerstattung liege hier eine unzulässige Klageänderung, da sie sich auf ein Modell mit einer komplett abweichenden Ausstattung beziehe. Auch in der Sache seien die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nicht erfüllt. Ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf Versorgung mit dem Dreirad ergäbe sich weder zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung noch zum Ausgleich einer Behinderung. Das Therapierad werde nicht zu kurativ-therapeutischen Zwecken eingesetzt und im Rahmen eines Behinderungsausgleichs sei das Dreirad zwar generell geeignet, den Wünschen der Klägerin nach einer erheblichen Verbesserung ihrer Mobilität auch im Nahbereich zu entsprechen. Allerdings sei die vorliegende Versorgung als Optimalversorgung anzusehen, die das Maß des Notwendigen deutlich überschreite.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 33 Absatz 1 Satz 1 SGB V) und Verfahrensrechts (§ 99 Absatz 1 und 3 Nummer 3 SGG). Bei der Umstellung auf einen Kostenerstattungsanspruch handele es sich nicht um eine unzulässige Klageänderung. Materiell habe sie Anspruch auf Kostenerstattung zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung. Zu Unrecht verneine das Landessozialgericht den kurativen Behandlungszweck des Dreirads. Im Übrigen sei der Maßstab, den das Landessozialgericht für die Erforderlichkeit eines Hilfsmittels für den Behinderungsausgleich anlege, zu hoch; denn die Versorgung sei nicht nur dann notwendig und angemessen, wenn sie lediglich einer Basisversorgung entspräche.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Hannover, S 67 KR 1507/19, 10.03.2020
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L 4 KR 170/20, 23.08.2022
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Terminbericht
Aus den unter Aktenzeichen B 3 KR 13/22 R dargestellten rechtlichen Erwägungen war die Revision der Klägerin begründet und hat ihr der Senat einen Kostenerstattungsanspruch gegen die beklagte Krankenkasse zugesprochen.
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