Verhandlung B 12 BA 9/22 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - Versicherungspflicht - Versicherungsfreiheit - Rentenversicherung - Pilot ohne eigenes Flugzeug - abhängige Beschäftigung - selbstständige Tätigkeit
Verhandlungstermin
23.04.2024 12:30 Uhr
Terminvorschau
R. S. P. GmbH&Co.KG ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, ein Beigeladener
Die Klägerin verfügte über ein Flugzeug, das sie unter anderem für die Beförderung von Personal zum Produktionsstandort des von ihr betriebenen Unternehmens nutzte. Sie schloss hierfür mit dem Beigeladenen einen Rahmen-Dienstvertrag über "freie Mitarbeit als Flugzeugführer (Freelance)". Zeitpunkt, Dauer, Art und Umfang eines jeden Einsatzes wurden im Einzelfall zwischen den Parteien vereinbart. Der Beigeladene teilte die möglichen Flugtage, die Klägerin daraufhin die durchzuführenden Aufträge mit. Durch Überlassung des entsprechenden Dienstplans beziehungsweise Festlegung der Details wurden die Einzelaufträge verbindlich. Zu den Aufgaben des Beigeladenen gehörte die Vorbereitung und Durchführung von Flügen als verantwortlicher Flugzeugführer sowie deren Nachbereitung und Dokumentation einschließlich besonderer Vorkommnisse. Er war verpflichtet, die Aufträge persönlich durchzuführen und wurde grundsätzlich nach dem jeweiligen Einsatz mit 300 Euro pro Tag vergütet. Ihm war es gestattet, auch für andere Unternehmen oder sonstige Dritte tätig zu sein. Außer dem von der Klägerin vollgetankt zur Verfügung gestellten Flugzeug wurden weitere Arbeitsmittel nicht benötigt.
Die Beklagte stellte fest, dass der Beigeladene als Pilot für die Klägerin beginnend mit dem ersten Einsatz ab dem 15. April 2015 aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlegen habe. Das Sozialgericht hat die Verwaltungsentscheidung aufgehoben und festgestellt, dass der Beigeladene nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Das Landessozialgericht hat den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Beigeladene sei bei einer Gesamtschau des Vertrags und der tatsächlichen Durchführung wegen Beschäftigung rentenversicherungspflichtig gewesen. Für die Beurteilung sei auf die jeweiligen Einzeleinsätze abzustellen. Dem Willen der Vertragsparteien, keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung begründen zu wollen, komme nur indizielle Bedeutung zu. Der Beigeladene sei in eine von der Klägerin vorgegebene betriebliche Ordnung zu deren Geschäftszwecken eingegliedert gewesen. Es sei nicht entscheidend, dass die Klägerin ihr Direktionsrecht nicht durch Einzelanweisungen während des jeweiligen Auftrags, sondern durch vorab im Rahmen-Dienstvertrag getroffene generelle Festlegungen ausgeübt habe. Der Beigeladene sei nach einem Tagessatz vergütet worden und habe kein unternehmerisches Risiko getragen. Das Flugzeug sei kostenfrei bereitgestellt worden.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 7 Absatz 1 SGB IV. Das Landessozialgericht habe von der freien Rechtsformwahl der Beteiligten nicht abweichen dürfen. Wegen der gegenseitigen Vereinbarung über Zeit und Inhalt der Einzelaufträge habe es kein einseitiges Weisungsrecht gegeben. Eine Eingliederung im Sinne eines arbeitsteiligen Zusammenwirkens habe nicht vorgelegen. Der Beigeladene habe frei entscheiden können, ob er einen Auftrag annehme. Ein unternehmerisches Risiko habe darin gelegen, dass Folgeaufträge nicht erteilt würden. Die Gesamtschau bedinge vergleichbar mit der früheren Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28. Mai 2008 (B 12 KR 13/07 R) eine selbstständige Tätigkeit.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Marburg, S 4 R 99/17, 11.08.2021
Hessisches Landessozialgericht, L 8 BA 65/21, 29.09.2022
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin ist erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der beigeladene Flugzeugführer bei seinen jeweiligen Einsätzen für die Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig war. Bei einer Gesamtbetrachtung der Umstände überwiegen die Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen. Der Wille der Vertragsparteien ist für die statusrechtliche Einordnung nicht ausschlaggebend. Der Klägerin stand zwar kein einseitiges Weisungsrecht gegenüber dem Beigeladenen zu. Nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben kann sich die persönliche Abhängigkeit aber auch ohne typische Weisungsabhängigkeit allein aus der Eingliederung in den Betrieb ergeben. Insoweit sind grundsätzlich auch Rahmenvereinbarungen, regulatorische Rahmenbedingungen oder "in der Natur der Sache" liegende Umstände zu berücksichtigen. Wesentlich ist, ob und inwieweit im Einzelfall noch Raum für eine unternehmerische Freiheit zur Gestaltung der Tätigkeit mit entsprechenden Chancen und Risiken verbleibt. Der Inhalt der einzelnen Aufträge und die höchstpersönliche Durchführungspflicht ließen dem Beigeladenen hier keinen Spielraum zur eigenen unternehmerischen Ausgestaltung der Tätigkeit. Anders als in einem typischen Arbeitsverhältnis bestand zwar keine ständige Dienstbereitschaft. Die Versicherungspflicht erstreckt sich aber auch nicht auf die gesamte Laufzeit der Rahmenvereinbarung, sondern nur auf die Einzelaufträge. Dass diese formal durch eigene Vereinbarungen festgelegt wurden, ändert nichts daran, dass die Klägerin die einzelnen Einsätze hinsichtlich Start, Ziel und zu transportierender Güter beziehungsweise Personen entsprechend ihrem konkreten Bedarf bestimmt hat und der Beigeladene sich an den vereinbarten Arbeitstagen in diese Organisation eingefügt hat. Von wesentlicher Bedeutung für die Eingliederung ist auch, dass der Beigeladene keine eigenen Betriebsmittel genutzt hat. Ihm wurde das für die Dienstleistung unentbehrliche Flugzeug ohne Nutzungsentgelt oder Auswahlmöglichkeit kostenfrei bereit gestellt. Auf das arbeitsteilige Zusammenwirken kommt es bei einer Dienstleistung singulärer Art nicht an. Ein gewichtiges Unternehmerrisiko lag nicht vor. Hierfür genügt nicht das (allgemeine) Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft gegebenenfalls nicht verwerten zu können. Dies gilt auch für die mit der Aufrechterhaltung der Flugberechtigung verbundenen Kosten. Dass der Beigeladene auch für andere tätig werden durfte und auch wurde, spricht nicht für seine Selbstständigkeit im Rahmen der Einzelaufträge. Seine Dispositionsfreiheit wird schon insoweit berücksichtigt, als die Versicherungspflicht auf den jeweiligen Einzelauftrag beschränkt wird.
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