Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 7/23 R

Krankenversicherung - stufenweise Wiedereingliederung - Fahrtkosten zur Arbeitsstelle - Erstattung

Verhandlungstermin 16.05.2024 12:15 Uhr

Terminvorschau

D. A. ./. AOK Plus - Die Gesundheitskasse
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für Fahrten zur Arbeitsstelle während einer stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben.

Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte und als Arbeitnehmer beschäftigte Kläger war vom 6. August bis 16. Dezember 2018 arbeitsunfähig erkrankt und bezog Krankengeld. Maßnahmen der Rehabilitation (Reha) in einer ambulanten oder stationären Einrichtung nahm er in diesem Zeitraum nicht in Anspruch.

Am 22. November 2018 erstellte die behandelnde Hausärztin für den Kläger einen ärztlichen Wiedereingliederungsplan über eine stufenweise Wiedereingliederung vom 3. bis 14. Dezember 2018, dem der Kläger und sein Arbeitgeber zustimmten. Der Plan ging sodann bei der Beklagten ein, die ebenfalls zustimmte (30. November 2018). Der Kläger erschien im Zeitraum der stufenweisen Wiedereingliederung an zehn Arbeitstagen an seinem Arbeitsplatz (einfache Wegstrecke vom Wohnort 20 km). Den Antrag des Klägers auf Übernahme der Fahrkosten während der stufenweisen Wiedereingliederung lehnte die Beklagte ab.

Das Sozialgericht hat den ablehnenden Bescheid aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 85,00 Euro Fahrkosten verurteilt. Das Landessozialgericht hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Fahrten zur Arbeitsstelle während der stufenweisen Wiedereingliederung. Diese sei keine Reha-Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung bestehe ebenfalls kein Anspruch, weil die stufenweise Wiedereingliederung nicht in Verbindung mit einer Leistung zur medizinischen Reha Bestandteil einer Gesamtmaßnahme gewesen sei. 

Der Kläger rügt mit der vom Landessozialgericht zugelassenen Revision die Verletzung des § 60 Absatz 5 SGB V in Verbindung mit den §§ 44 und 73 SGB IX.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Dresden, S 18 KR 967/19, 17.06.2020
Sächsisches Landessozialgericht, L 1 KR 365/20, 21.09.2022

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 16/24.

Terminbericht

Der Senat hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die begehrte Erstattung von Fahrkosten zum Arbeitsplatz während der stufenweisen Wiedereingliederung.

Ein krankenversicherungsrechtlicher Anspruch auf Erstattung von Fahrkosten besteht nicht. Die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 60 Absatz 5 SGB V liegen nicht vor. Es fehlt an einem Zusammenhang der Fahrten mit einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation (Reha). Die in § 74 SGB V genannte stufenweise Wiedereingliederung ist keine Leistung zur medizinischen Reha. Sie bezweckt die Wiedereingliederung arbeitsunfähiger Versicherter in das Erwerbsleben. Die stufenweise Wiedereingliederung als Instrument zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit findet am Arbeitsplatz im Betrieb des Arbeitgebers in einem vom Arbeitsvertrag losgelösten Wiedereingliederungsverhältnis statt. Dem arbeits- und sozialrechtlich weiterhin arbeitsunfähigen Arbeitnehmer soll die Wiederaufnahme seiner Beschäftigung an seinem Arbeitsplatz - gegenüber dem arbeitsvertraglich Geschuldeten - in reduziertem Umfang ermöglicht werden. Sie ist damit nicht auf die in § 11 Absatz 2 SGB V beschriebenen Ziele, eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, ausgerichtet. Sie setzt auch nicht das Vorliegen einer Behinderung oder behinderungsbedingter Folgen voraus. Für Leistungen zur medizinischen Reha, die auf die Wiederherstellung oder Erhaltung der Erwerbsfähigkeit ausgerichtet sind, sind die Rentenversicherungsträger die regelmäßig zuständigen Reha-Träger. § 74 SGB V konkretisiert nur die vertragsärztlichen Pflichten und den Inhalt der vom Vertragsarzt zu erbringenden Leistungen.

Die Beklagte ist auch nicht als erstangegangener Leistungsträger nach § 14 Absatz 2 Satz 1 SGB IX zur Erstattung der Fahrkosten verpflichtet. Auch hier fehlt es an einer von § 28 Absatz 1 SGB VI, § 64 Absatz 1 SGB IX vorausgesetzten Leistung zur medizinischen Reha.

Die Rentenversicherungsträger erbringen gemäß § 15 Absatz 1 Satz 1 SGB VI die in den §§ 42-47a SGB IX vorgesehenen Leistungen zur medizinischen Reha. Die stufenweise Wiedereingliederung wird zwar in § 44 SGB IX genannt. Eine ohne Zusammenhang mit anderen Leistungen zur medizinischen Reha durchgeführte (isolierte) stufenweise Wiedereingliederung nach diesen Vorschriften ist aber keine Leistung zur medizinischen Reha. Die Durchführung der stufenweisen Wiedereingliederung am Arbeitsplatz beinhaltet keine Sach-, Dienst- oder Geldleistung eines Reha-Trägers und ist damit keine Sozialleistung eines Reha-Trägers im Sinne des § 11 SGB I, für deren Ausführung er auch keine Verantwortung trägt. Es fehlen normativ abgesicherte Einwirkungsmöglichkeiten auf den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer, mit denen der Reha-Träger seiner von § 28 Absatz 1 Satz 2 SGB IX geforderten Verantwortung nachkommen könnte. § 44 SGB IX erschöpft sich in einem an die für Leistungen zur medizinischen Reha zuständigen Träger gerichteten Hinwirkungsgebot. Die medizinischen Leistungen sind mit Blick auf eine mögliche stufenweise Wiedereingliederung auszugestalten.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 16/24.

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