Bundessozialgericht

Verhandlung B 6 KA 10/23 R

Vertragsarztrecht - Schiedsspruch - Bundesschiedsamt - Differenzkostenregelung - Anwendungsbereich - unzulässige Verordnung - unwirtschaftliche Verordnung

Verhandlungstermin 05.06.2024 12:00 Uhr

Terminvorschau

Kassenärztliche Bundesvereinigung  ./.  Bundesschiedsamt für die vertragsärztliche Versorgung, beigeladen: GKV-Spitzenverband
Die klagende Kassenärztliche Bundesvereinigung wendet sich gegen einen Schiedsspruch des beklagten Bundesschiedsamtes betreffend den Anwendungsbereich der Differenzkostenregelung in § 106b Absatz 2a SGB V. Diese durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz vom 6. Mai 2019 eingeführte Vorschrift bestimmt, dass Nachforderungen gegenüber Ärzten wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise auf die Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich ärztlich verordneten Leistung zu begrenzen sind. Des Weiteren ist geregelt, dass das Nähere in den einheitlichen Rahmenvorgaben für die Wirtschaftlichkeitsprüfung zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband zu vereinbaren ist.

Die Klägerin und der beigeladene GKV-Spitzenverband vereinbarten zur Umsetzung der Regelung in den einheitlichen Rahmenvorgaben zunächst, dass die Berücksichtigung der Kostendifferenz nur vorzunehmen ist, wenn die Verordnung nicht bereits durch § 34 SGB V oder nach Anlage 1 der Heilmittel-Richtlinie ausgeschlossen ist und die Voraussetzungen nach § 12 Absatz 1 Arzneimittel-Richtlinie nicht vorliegen. Nachdem es auf regionaler Ebene zu Rechtsunsicherheiten hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Differenzkostenregelung gekommen war, kündigte der Beigeladene die Rahmenvorgaben. Im anschließenden Schiedsverfahren entschied der Beklagte, dass eine Kostendifferenz nur zu berücksichtigen sei, wenn die in Rede stehende Verordnung unwirtschaftlich und nicht unzulässig und somit von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sei.

Die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin hat das Landessozialgericht abgewiesen. Der Schiedsspruch setze die Vorgaben des § 106b Absatz 2a SGB V zutreffend um. Die Differenzkostenregelung sei lediglich auf Nachforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnung im engeren Sinne anzuwenden; dagegen würden sämtliche Formen der unzulässigen Verordnung nicht erfasst. Zwar sei die Analyse von Wortlaut, Binnensystematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Vorschrift für die zu beurteilende Frage unergiebig. Das Auslegungsergebnis werde jedoch durch die Einbettung der Norm in die Systematik des SGB V und den daraus folgenden Sinn und Zweck der Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen gestützt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts komme bei unzulässigen Verordnungen die Berücksichtigung von kompensatorischen Einsparungen nicht in Betracht. Es sei nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber mit Einführung der Differenzkostenregelung eine Änderung dieser Vorgaben beabsichtigt habe.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Bereits der Wortlaut der Norm spreche dafür, dass die Differenzkostenregelung auch auf unzulässige Verordnungen Anwendung finde. Die Rechtsprechung gehe von einem weitreichenden Wirtschaftlichkeitsbegriff aus, welcher grundsätzlich auch unzulässige Verordnungen erfasse. Nunmehr sei auch für den Bereich der Verordnung unzulässiger Leistungen der normative Schaden an die Maßstäbe der verschuldensunabhängigen Haftung angepasst worden. Hierdurch gehe auch keineswegs die Steuerungsfunktion der vertragsärztlichen Bestimmungen verloren.

Verfahrensgang:
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 7 KA 19/22 KL, 26.04.2023

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Terminbericht

Die Revision der klagenden Kassenärztlichen Bundesvereinigung war erfolglos. Der Schiedsspruch des beklagten Bundesschiedsamtes ist nicht zu beanstanden. Die in § 106b Absatz 2a Satz 1 SGB V geregelte Begrenzung von Nachforderungen auf die Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich ärztlich verordneten Leistung ist allein auf unwirtschaftliche Verordnungen im engeren Sinne, wie zum Beispiel Verordnungen von unnötig teuren Medikamenten, zu beziehen. Auf unzulässige Verordnungen findet die Regelung dagegen keine Anwendung. Der Wortlaut der Regelung ist allerdings nicht eindeutig und lässt verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Zwar ist § 106b SGB V auch Grundlage des Verordnungsregresses, mit dem der Ersatz eines Schadens geltend gemacht wird, der der Krankenkasse dadurch entstanden ist, dass sie gegenüber der Apotheke Medikamente bezahlen muss, die der Arzt nach den geltenden gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung hätte verordnen dürfen. Bei diesem Verordnungsregress handelt sich gleichwohl um ein eigenständiges Prüfverfahren für das - gerade bezogen auf die Höhe des Regresses - andere Regeln gelten. Die Berücksichtigung kompensatorischer Einsparungen kommt hier nach ständiger Rechtsprechung nicht in Betracht.

Weder Normwortlaut noch Gesetzesmaterialien erlauben den Rückschluss, dass der Gesetzgeber mit der Differenzkostenregelung eine grundlegende Strukturveränderung beabsichtigt hat. Unter Berücksichtigung insbesondere systematischer Gesichtspunkte kann die Norm nur dahingehend ausgelegt werden, dass lediglich unwirtschaftliche Verordnungen im engeren Sinne erfasst werden. Leistungsrecht und Leistungserbringungsrecht sind im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung eng miteinander verbunden. Das kommt insbesondere in § 12 Absatz 1 Satz 2 SGB V zum Ausdruck, der bestimmt, dass Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, Versicherte nicht beanspruchen können, Leistungserbringer nicht bewirken und Krankenkassen nicht bewilligen dürfen. Leistungen, die unter Missachtung gesetzlicher Vorgaben erbracht werden, werden im allgemeinen nicht vergütet. Dieses grundlegende Prinzip würde für den Verordnungsregress in Frage gestellt, wenn die Nachforderung auch im Falle einer unzulässigen Verordnung auf die Differenz der Kosten zwischen wirtschaftlicher und tatsächlich verordneter Leistung begrenzt würde. In allen Fällen, in denen durch die unzulässige Verordnung keine höheren Kosten als durch die zulässige Verordnung entstehen, würde die Krankenkasse gezwungen, die Kosten der unzulässigen Verordnung endgültig zu übernehmen. Damit würden umfangreiche, der Qualitätssicherung dienende Regelungen im SGB V zu wesentlichen Teilen leerlaufen. Wenn ein solcher grundlegender Systemwechsel erfolgen soll, muss das im Gesetz klar zum Ausdruck gebracht werden.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 18/24.

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