Verhandlung B 1 KR 12/23 R
Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - Erstuntersuchung - vorstationäre Behandlung - Ablehnung weiterer Behandlung gegen ärztlichen Rat
Verhandlungstermin
25.06.2024 10:00 Uhr
Terminvorschau
A. GmbH ./. BKK mkk - meine Krankenkasse
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausbehandlung.
Ein Versicherter der beklagten Krankenkasse kam am 27. Januar 2018 um circa 8:40 Uhr aufgrund einer Kopfverletzung in die Notaufnahme der von der Klägerin betriebenen Klinik. Ihm war eine Krankenhausbehandlung nicht zuvor vertragsärztlich verordnet worden. Nach der Aufnahmeuntersuchung, in der eine Gehirnerschütterung diagnostiziert wurde, empfahlen die Krankenhausärzte die stationäre Aufnahme zur weiteren neurologischen Überwachung. Der Versicherte lehnte aber die weitere Behandlung ab und verließ gegen 13:40 Uhr das Krankenhaus entgegen ärztlichem Rat.
Die Klägerin rechnete den Aufenthalt des Versicherten als vorstationäre Behandlung in Höhe von 323,13 Euro ab. Die Beklagte verweigerte die Zahlung, weil es an einer für die Abrechnung einer vorstationären Behandlung erforderlichen vertragsärztlichen Verordnung von Krankenhausbehandlung fehle. Die Klägerin hielt dem entgegen, der in Hamburg geltende “Vertrag Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung (§ 112 Absatz 1 SGB V zu § 112 Absatz 2 Nr. 1 SGB V)“ - im Folgenden: Landesvertrag - lasse die Abrechnung als vorstationäre Behandlung zu, wenn der Patient nach der Erstuntersuchung die notwendige stationäre Behandlung eigenmächtig ablehne (§ 4 Absatz 6 Satz 3 Landesvertrag).
Das Sozialgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 323,13 Euro verurteilt; das Landessozialgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die von der Klägerin durchgeführte Erstuntersuchung sei gemäß § 4 Absatz 6 Satz 3 Landesvertrag “wie“ eine vorstationäre Behandlung abzurechnen. Danach müssten - vergleichbar einer Rechtsfolgenverweisung - nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen einer vorstationären Krankenhausbehandlung vorliegen; die Leistung werde lediglich nach den für diese Behandlung geltenden Sätzen vergütet. Diese landesvertragliche Regelung verletze kein Bundesrecht. Insbesondere halte sie sich im Rahmen der den Vertragsparteien nach § 112 SGB V eingeräumten Regelungskompetenz. Sie betreffe nicht ambulante vertragsärztliche Leistungen, sondern die zur Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V gehörende Aufnahmeuntersuchung.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 115a SGB V.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Hamburg, S 42 KR 2632/20, 06.07.2022
Landessozialgericht Hamburg, L 1 KR 107/22 D, 23.03.2023
Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 22/24.
Terminbericht
Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die geltend gemachte Vergütung. Es fehlt an einer wirksamen Rechtsgrundlage. § 4 Absatz 6 Satz 3 des in Hamburg geltenden "Vertrag Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung (§ 112 Absatz 1 SGB V zu § 112 Absatz 2 Nummer 1 SGB V)" ist in der revisionsrechtlich verbindlichen Auslegung durch das Landessozialgericht nicht mit Bundesrecht vereinbar und daher nichtig. Nach dessen Auslegung wird mit der Erstuntersuchung (Aufnahmeuntersuchung) eine Leistung vergütet, die Bestandteil stationärer Behandlung ist. Eine Vereinbarung über neue Entgeltarten, Vergütungstatbestände oder Vergütungssätze im SGB V ist nicht von der Ermächtigungsnorm des § 112 Absatz 1 und Absatz 2 SGB V gedeckt. Danach sind die Vertragspartner auf Landesebene nicht ermächtigt, über die im Krankenhausentgeltgesetz festgelegten Entgeltarten hinausgehende Entgelttatbestände für allgemeine Krankenhausleistungen der DRG-Krankenhäuser festzulegen. Einer solchen gesetzlichen Regelung hätte es jedoch für das SGB V bedurft. Denn das für das SGB V maßgebliche Preisrecht des Krankenhausentgeltgesetz zählt in § 7 Krankenhausentgeltgesetz die Entgeltarten für allgemeine Krankenhausleistungen abschließend auf und sieht keine gesonderte Vergütung der Aufnahmeuntersuchung vor. Zudem verstößt die landesvertragliche Regelung gegen § 39 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V, indem sie die Krankenhausbehandlung leistungsrechtlich abweichend von der dort abschließend vorgegebenen Definition erweitert. Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch auch nicht aus anderen Rechtsgründen zu. Für die Vergütung einer voll- oder teilstationären Behandlung fehlt es an einer Aufnahme des Versicherten in das Krankenhaus der Klägerin. Gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten kann eine stationäre Aufnahme grundsätzlich nicht erfolgen. Mangels vertragsärztlicher Verordnung kann die Leistung nicht als vorstationäre Behandlung im Sinne von § 115a SGB V abgerechnet werden. Ein Vergütungsanspruch ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens, da diese nur innerhalb desselben Vergütungsverhältnisses Anwendung finden. Die Leistung der Klägerin kann aber allenfalls als ambulante Notfallbehandlung von der Kassenärztlichen Vereinigung aus der Gesamtvergütung abgegolten werden.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 22/24.