Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 39/22 R

Krankenversicherung - Kostenerstattung - Tod des Versicherten - Rechtsnachfolge

Verhandlungstermin 25.06.2024 13:00 Uhr

Terminvorschau

E. W. ./. Kaufmännische Krankenkasse
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für medizinische Behandlungen des verstorbenen Ehemanns der Klägerin.

Die Klägerin ist Witwe und Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemanns, der bis zu seinem Tod bei der beklagten Krankenkasse versichert war (im Folgenden: der Versicherte). Der Versicherte hatte gegenüber der Beklagten anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gemäß § 13 Absatz 2 SGB V gewählt. Die Beklagte informierte ihn darüber, dass die Kostenerstattung im stationären Bereich lediglich 30% der Fallpauschalen abdecke. Im April 2019 verstarb der Versicherte während einer stationären Behandlung. Im Juni 2019 legte die Klägerin bei der Beklagten Rechnungsbelege in Höhe von insgesamt 23 956,04 Euro für die Zeit ab Oktober 2018 für verauslagte Behandlungskosten des Versicherten vor und begehrte deren Erstattung. Mit ihrem Begehren hatte die Klägerin bei der Beklagten und vor dem Sozialgericht keinen Erfolg. Auf die Berufung hat das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts sowie die Bescheide der Beklagten geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die nunmehr noch begehrten Behandlungskosten ihres verstorbenen Ehemanns in Höhe von 6542,36 Euro zu zahlen. Der Anspruch auf Kostenerstattung sei mit dem Tod des Versicherten nach § 1922 Absatz 1 BGB auf die Klägerin übergegangen und nicht nach § 59 SGB I erloschen. Zwar seien die Ansprüche im Zeitpunkt des Todes weder festgestellt noch sei ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig gewesen, ein derartiges Verständnis der Norm sei jedoch verfassungswidrig. Es gebe keinen sachlichen Grund dafür, dass im Erbfall zwar die Zahlungsverpflichtungen des Versicherten aus den von ihm geschlossenen Behandlungsverträgen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergingen, seine Erstattungsansprüche gegen die Beklagte aber erloschen seien. § 59 Satz 2 SGB I sei daher im Wege der teleologischen Reduktion so auszulegen, dass Kostenerstattungsansprüche nach § 13 Absatz 2 SGB V von dieser Norm nicht erfasst seien.

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 59 Satz 2 SGB I.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Heilbronn, S 12 KR 3262/19, 30.04.2020
Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 11 KR 1645/20, 08.11.2022

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 22/24.

Terminbericht

Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten zu. Dieser hatte zu Lebzeiten teilweise bereits fällige Kostenerstattungsansprüche nach § 13 Absatz 2 SGB V, teilweise zumindest Anwartschaften auf Kostenerstattung erworben, die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 Absatz 1 BGB auf die Klägerin als Alleinerbin übergingen und zu Ansprüchen erstarkten. Ein Kostenerstattungsanspruch entsteht erst, wenn Versicherten Kosten im Rechtssinne entstanden sind. Zwar wurde ein Teil der Rechnungen erst nach dem Tod des Versicherten beglichen. Insoweit hatte der Versicherte aber bereits zu Lebzeiten eine gefestigte Rechtsposition im Sinne einer Anwartschaft erworben, die sich mit der Begleichung der fälligen Forderungen durch die Klägerin zu einem Kostenerstattungsanspruch verfestigte. Denn die Leistungspflicht der Krankenkasse für eine konkrete Behandlungsmaßnahme hängt grundsätzlich allein vom Versichertenstatus im Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungserbringung ab. Andernfalls käme es zu einer willkürlichen Ungleichbehandlung zwischen Versicherten, die Kostenerstattung gewählt haben und denen, die dem Sachleistungsgrundsatz unterliegen. Mit der Inanspruchnahme einer medizinischen Leistung setzen sich die Versicherten gegenüber dem Leistungserbringer unmittelbar einer Vergütungsforderung aus. Der Eintritt des Todes vor Rechnungstellung und deren Begleichung darf aufgrund seiner Zufälligkeit und der davon unabhängigen Beitragslast dem Kostenerstattungsanspruch nicht entgegenstehen. §§ 56, 58, 59 SGB finden auf die Kostenerstattung nach § 13 Absatz 2 SGB V keine Anwendung. Nach § 37 Satz 1 SGB I gelten die Vorschriften des SGB I (nur), soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt. Die Vorschrift räumt der sich aus dem SGB V ergebenden Besonderheit der funktionalen Einheit von Naturalleistungsansprüchen und Kostenerstattungsansprüchen und dem danach gebotenen Gleichlauf Vorrang gegenüber den Regelungen des SGB I ein. Dieser Gedanke liegt auch der Regelung des § 35 Satz 3 SGB XI zugrunde. Ein Ausschluss der Rechtsnachfolge wäre ein nachträglicher Eingriff in eine bereits erworbene Rechtsposition. Dafür bilden die §§ 56 ff SGB I keine hinreichende Grundlage.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 22/24.

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