Verhandlung B 3 KS 1/22 R
Künstlersozialversicherung - Versicherungspflicht - Tanzunterricht - Flamencotanz
Verhandlungstermin
27.06.2024 11:00 Uhr
Terminvorschau
F.-F. C. O. ./. Künstlersozialkasse bei der Unfallversicherung Bund und Bahn
Im Streit steht die Feststellung einer Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung ab Januar 2018.
Die 1968 geborene Klägerin trat und tritt noch als Flamencotänzerin auf. Sie betreibt seit November 2017 hauptberuflich eine Flamenco-Schule und erzielt den überwiegenden Anteil ihrer Einnahmen aus dieser selbständigen Tätigkeit. Ihren Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) lehnte die beklagte Künstlersozialkasse ab: Tanzunterricht könne als Lehre von darstellender Kunst von § 2 Satz 1 KSVG erfasst sein, wenn die Schüler schwerpunktmäßig durch den Unterricht befähigt werden sollten, selbst als Tänzer tätig zu werden, um einen Tanz als Kunstform - und nicht als Sport - darzubieten. Hier erfolge jedoch keine Bühnentanzausbildung, auch wenn die Schüler das Erlernte in gelegentlichen öffentlichen Aufführungen präsentierten. Der Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin liege im Sportbereich.
Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin seit 1. Januar 2018 der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliegt: Die Schüler der Klägerin würden durch den Unterricht befähigt, die Tanzform des Flamenco als künstlerischen Ausdruckstanz zu erlernen und aufzuführen, was auch außerhalb der klassischen Bühne erfolgen könne. Das Landessozialgericht hat das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen: Zwar seien die eigenen Tanzauftritte der Klägerin dem künstlerischen Wirkbereich zuzuordnen, die ihre Berufsausübung prägende Lehre des Flamenco liege aber nicht schwerpunktmäßig im Bereich des Bühnentanzes und könne daher nicht der Tanzkunst zugeordnet werden. Ihr Unterrichtsangebot sei dem Breiten- beziehungsweise Freizeitsport vergleichbar. So biete die Klägerin keine speziellen Klassen mit erhöhtem Anforderungsprofil zur Vorbereitung einer professionellen Laufbahn als Flamenco-Tänzer an; vielmehr folge sie dem Prinzip des Freizeitsports, einer möglichst großen Schülerzahl die Welt des Flamenco zu öffnen. Die gelegentlichen Auftritte der Schüler modifizierten den Unterrichtscharakter nicht in Richtung Lehre von darstellender Kunst, da sie nicht im künstlerischen Rahmen einer Kultureinrichtung erfolgt seien.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 1 Nummer 1 und § 2 Satz 1 KSVG. Das Landessozialgericht habe seiner Entscheidung einen sehr viel enger gefassten Begriff eines Künstlers oder einer künstlerischen Tätigkeit zugrunde gelegt, als er vom Bundessozialgericht erarbeitet worden sei, womit eine Verkennung dieser Tatbestandsmerkmale vorliege. Auch habe es die Besonderheiten des Flamencotanzes als einer eigenen künstlerischen Tanzform nicht vollständig in den Blick genommen und ausgewertet. Der Unterricht dieser Tanzform sei als Lehre von Kunst im Sinne von § 1 Nummer 1 KSVG zu qualifizieren.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Oldenburg, S 63 KR 70/19, 28.08.2019
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, L 16 KR 414/19, 15.03.2022
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin war erfolgreich. Sie ist als Flamencotanzlehrerin seit Januar 2018 versicherungspflichtig nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).
Der Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung unterliegen unter anderem selbständige Künstler. Künstler in diesem Sinne ist, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Die Klägerin, die den überwiegenden Anteil ihrer Einnahmen aus dem selbständigen Betrieb ihrer Flamenco-Schule erzielt, lehrt als Flamencotanzlehrerin darstellende Kunst.
Zunächst ist der Flamencotanz als Kunst anzuerkennen. Tanz ist als darstellende Kunst nach der Rechtsprechung des Senats mehr als nur Ballett, bedarf aber als Tanzkunst der Abgrenzung zum Tanzsport. Bei diesem steht typischerweise für die Akteure der Wettkampfgedanke im Vordergrund und bestehen Regeln und Wertmaßstäbe aus dem Bereich des Sports. Demgegenüber ist die Tanzkunst vom künstlerischen Anspruch ihrer Akteure geprägt. Auch unterscheiden sich Tanzkunst und Tanzsport regelmäßig nach der Art der Veranstaltung, dem Veranstaltungsort und der Zugehörigkeit der Akteure zu einschlägigen Interessengruppen. Ausgehend hiervon ist Flamenco als ein Bühnentanz Tanzkunst und nicht Tanzsport und auch nicht bloße Traditions- und Brauchtumspflege (Folklore).
Indes liegt der wirtschaftliche Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin nicht im Bereich der Ausübung von Tanzkunst als Flamencotänzerin, sondern in der Lehre. Auch für das Unterrichten von Flamenco als Lehre von Kunst bedarf es nach der Rechtsprechung des Senats einer Abgrenzung, hier der von Tanzunterricht und Sporttraining. Nur weil die Ausübung von Flamenco Kunst sein kann, muss es nicht auch stets dessen Lehre sein. Abzugrenzen ist danach, ob es im Schwerpunkt um auf sportliche Fitness zielendes Training oder um die Vermittlung von Fähigkeiten zur eigenen Präsentation von Bühnentanz geht. Um Lehre von Tanzkunst handelt es sich zudem dann nicht, wenn statt der aktiven Kunstausübung der Schülerinnen und Schüler vorrangig auf diese bezogene pädagogische, psycho- oder soziotherapeutische Ziele verfolgt werden.
Nach diesen Maßstäben lehrt die Klägerin als erfahrene Bühnentänzerin in ihrer Tanzschule darstellende Kunst. Bei seiner hiervon abweichenden Würdigung der für den Senat bindend festgestellten Tatsachen hat das Landessozialgericht die Anforderungen an die professionelle Ausrichtung der Lehre und der Ausübung des Gelernten anders gewichtet und so den Anwendungsbereich der Lehre von Kunst an Laien zur Ausübung zu Freizeitzwecken geschmälert. Unerheblich ist nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Senats, ob angehende Berufstänzer oder Laien unterrichtet werden, die nur in ihrer Freizeit am Unterricht teilnehmen und das Gelernte auch nur für Freizeitzwecke verwenden wollen. Eine Ausübung des Flamenco durch die Schülerinnen der Klägerin im professionellen Bereich ist danach nicht Voraussetzung dafür, dass sie als Lehrende darstellender Kunst Zugang zur Künstlersozialversicherung hat. Diesem Zugang steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin in untergeordnetem Umfang neben der Vermittlung der Befähigung zum Bühnentanz an Laien zeitweise auch mehr sportlich oder pädagogisch ausgerichtete Kurse angeboten hat.
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