Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KS 2/22 R

Künstlersozialversicherung - Versicherungspflicht - Hochzeitsrednerin - Zeremonienleiterin - freie Trauungen

Verhandlungstermin 27.06.2024 13:00 Uhr

Terminvorschau

S. L. ./. Künstlersozialkasse bei der Unfallversicherung Bund und Bahn
Im Streit steht die Feststellung einer Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung ab 27. Februar 2018.

Die 1986 geborene Klägerin erzielt seit Februar 2016 den überwiegenden Anteil ihrer Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit als Hochzeitsrednerin und Zeremonienleiterin bei freien Trauungen. Ihren Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht nach dem KSVG lehnte die beklagte Künstlersozialkasse ab: Bei den Tätigkeiten der Klägerin überwiege der künstlerische oder publizistische Aspekt nicht.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen: Die Klägerin sei als Hochzeitsrednerin nicht künstlerisch im Sinne von § 2 Satz 1 KSVG tätig. Es sei nicht die Form des Vortrags, sondern sein Gegenstand und Inhalt als Schwerpunkt ihrer Tätigkeit anzusehen. Die Klägerin gehöre auch nicht zum Kreis der Publizisten nach § 2 Satz 2 KSVG. Bei ihrer Tätigkeit als Hochzeitsrednerin fehle es am hierfür erforderlichen Öffentlichkeitsbezug. Das Landessozialgericht hat die Berufung zurückgewiesen: Einer künstlerischen Tätigkeit stehe entgegen, dass der Schwerpunkt bei Hochzeitsreden nicht in der eigenschöpferischen Gestaltung der Form des Vortrags liege. Im Vordergrund stehe vielmehr der Inhalt der Rede, der Wortbeitrag. Es handele sich auch nicht um eine publizistische Tätigkeit. Hierfür müsse sich das Werk an sich schon seinem Zweck nach an die Öffentlichkeit wenden (Verweis auf Bundessozialgericht vom 4. Juni 2019 - B 3 KS 2/18 R - BSGE 128, 169 = SozR 4-5425 § 2 Nummer 26). Dies sei hier nicht der Fall. Die Tätigkeit der Klägerin sei derart individualisiert, dass kein öffentliches Interesse erkennbar sei.

Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin der Sache nach eine Verletzung von § 1 Nummer 1 und § 2 KSVG. Das Landessozialgericht habe nicht beachtet, dass bei der Tätigkeit der Klägerin die Rede (Publizistik) und ihr Vortrag (Kunst) gleichwertig nebeneinander stünden, und es habe sich nicht weiter mit dem Wesen der modernen freien Trauung auseinandergesetzt.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Stuttgart, S 3 KR 1817/19, 04.05.2022
Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 5 KR 1505/22, 23.11.2022

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 21/24.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin war erfolglos. Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass die Klägerin als Hochzeitsrednerin und Zeremonienleiterin bei freien Trauungen nicht versicherungspflichtig nach dem KSVG ist.

Der Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung unterliegen selbständige Künstler und Publizisten. Künstler in diesem Sinne ist, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Publizist im Sinne der Künstlersozialversicherung ist, wer als Schriftsteller, Journalist oder in ähnlicher Weise publizistisch tätig ist oder Publizistik lehrt. Die Klägerin, die den überwiegenden Anteil ihrer Einnahmen als selbständige Hochzeitsrednerin bei freien Trauungen erzielt, übt hiermit weder darstellende Kunst aus noch ist sie publizistisch tätig.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Halten von Reden keine künstlerische Tätigkeit; als darstellende Künstler anerkannt werden können danach nur dem Schauspieler vergleichbare Sprecher wie Rezitatoren, Märchenerzähler oder Vorleser, die stimmlich und sprachlich auf die zu sprechenden Werke einwirken und diese nicht unerheblich künstlerisch gestalten. Daran fehlt es hier, weil unter Anerkennung der eigenschöpferischen Gestaltung der Reden und deren Vielfalt nicht die Form ihres Vortrags den Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin bildet, sondern der Gegenstand und Inhalt des anlassbezogenen Wortbeitrags im Vordergrund steht.

Die Klägerin ist als Hochzeitsrednerin aber auch nicht Publizistin. Nach der Rechtsprechung des Senats notwendig für die Publizistik ist der Öffentlichkeitsbezug. Maßgeblich für eine hinreichende Ähnlichkeit einer Tätigkeit zum Leitbild des Schriftstellers oder Journalisten ist danach nicht nur ein öffentliches Interesse am verbreiteten Werk, sondern das Werk an sich muss sich schon seinem Zweck nach an die Öffentlichkeit wenden. Daran fehlt es bei Hochzeitsreden, die anders als Texte von Schriftstellern und Journalisten schon ihrem Zweck nach nicht auf eine Verbreitung in der Öffentlichkeit zielen, sondern sich auch bei freien Trauungen typischerweise an den Kreis der über das Brautpaar untereinander verbundenen Eingeladenen als Adressaten richten. Hieran ändert es nichts, wenn Reden der Klägerin von Anwesenden aufgenommen und veröffentlicht werden, weil hierauf ihre Reden nicht zielen. Allein eine anzuerkennende Fähigkeit der Klägerin zur öffentlichen Rede bei freien Trauungen begründet nicht ihre Anerkennung als Publizistin im Sinne der Künstlersozialversicherung.

Ein Bedarf, die bisherigen Maßstäbe zur Kunst und zur Publizistik mit Blick auf die Tätigkeit der Klägerin als Hochzeitsrednerin und Zeremonienleiterin bei freien Trauungen zu präzisieren und bezogen hierauf eine neue Gruppe von Künstlern oder Publizisten zu konturieren, ist für den Senat nicht erkennbar geworden.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 21/24.

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