Bundessozialgericht

Verhandlung B 8 AY 7/23 R

Asylbewerberleistungsrecht - Ablehnung Asylantrag - Anspruchseinschränkung - Sachleistungen - pflichtwidriges Verhalten 

Verhandlungstermin 25.07.2024 11:30 Uhr

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I. B. ./. Landkreis Schweinfurt
Die 1998 geborene Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige, reiste erstmals am 2. Juli 2020 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zuvor hatte sie in den Niederlanden Asylanträge gestellt. Nachdem die Niederlande ihre Zuständigkeit erklärt hatten, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag der Klägerin als unzulässig ab. Zugleich ordnete es die Abschiebung in die Niederlande an. Eine Überstellung der zu diesem Zeitpunkt schwangeren Klägerin fand unter anderem wegen des Laufs der Mutterschutzfrist bis zum 4. Februar 2021 nicht statt. Die Überstellungsfrist endete am 11. Februar 2021.

Die Klägerin lebte in einer Erstaufnahmeeinrichtung im beklagten Landkreis, wo sie zunächst Sach- und Geldleistungen nach §§ 3, 3a Asylbewerberleistungsgesetz erhielt. Der Beklagte hob diese Bewilligung nach Anhörung mit Wirkung für die Zukunft auf und bewilligte im Ergebnis für die noch streitige Zeit vom 5. Februar 2021 bis 30. April 2021 gestützt auf § 1a Absatz 7 Asylbewerberleistungsgesetz in Verbindung mit § 1a Absatz 1 Asylbewerberleistungsgesetz lediglich Sachleistungen für Ernährung, Unterkunft und Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege sowie Krankenhilfe für den Krankheitsfall.

Die Klage auf höhere Leistungen für den streitigen Zeitraum und dabei in erster Linie auf Geldleistungen zur Deckung notwendiger persönlicher Bedarfe hat das Sozialgericht abgewiesen. Das Landessozialgericht hat auf die Berufung der Klage stattgegeben, weil nach seiner Auffassung die Einschränkung nach § 1a Absatz 7 Asylbewerberleistungsgesetz ein pflichtwidriges Verhalten fordere, das nicht vorliege. Zudem sei spätestens mit Ablauf der Überstellungsfrist im Verfahren nach der Dublin-III-Verordnung der Anspruchseinschränkung die Grundlage entzogen.

Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Würzburg, S 9 AY 105/21, 23.09.2022
Bayerisches Landessozialgericht L 8 AY 136/22, 31.05.2023

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Terminbericht

Der Senat hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Die Beteiligten haben durch Abschluss eines Teilvergleichs den Rechtsstreit zuvor auf die Zeit nach Ablauf der Überstellungsfrist sowie der Höhe nach beschränkt. Insoweit hat sich der Beklagte bereit erklärt, im Falle seines Unterliegens entsprechend seiner Verwaltungspraxis und den Hinweisen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Bedarfsstufe bei Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften (§ 3a Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe b Asylbewerberleistungsgesetz) nicht anzuwenden.

Die Klägerin hat im noch streitigen Zeitraum vom 12. Februar 2021 bis zum 30. April 2021 Anspruch auf höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 3 Absatz 1 und 2 Asylbewerberleistungsgesetz). Die Voraussetzungen einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Absatz 7 Asylbewerberleistungsgesetz liegen nicht vor. Der Ablauf der Überstellungsfrist nach der Dublin-III-Verordnung lässt nach Sinn und Zweck der Regelung die Möglichkeit zur Einschränkung von Leistungen entfallen. Die Einschränkung von Leistungen nach § 1a Absatz 7 Asylbewerberleistungsgesetz ist strikt an die Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gebunden, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-III-Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, und an die vom Bundesamt verfügte Abschiebungsanordnung dorthin. Damit fordert die Einschränkung von Leistungen nach § 1a Absatz 7 Asylbewerberleistungsgesetz zwar keine Erfüllung von subjektiven Tatbestandsmerkmalen, weil sie nicht als Sanktion für die Nichtausreise zu verstehen ist. Ihre Rechtfertigung findet sie nach Auffassung des Gesetzgebers vielmehr darin, dass eine Ausreise in einen anderen Mitgliedstaat unmittelbar bevorsteht und dieser materielle Leistungen während des Gemeinsamen Europäischen Asylverfahrens sichert. Nach Ablauf der Überstellungsfrist, die im Asylverfahren zu bestimmen ist und für den Beklagten bindend feststeht, kommt eine Einschränkung von Leistungen auf Grundlage von § 1a Absatz 7 Asylbewerberleistungsgesetz dann nicht mehr in Betracht. Das Bundesamt ist im Anschluss an die Überstellungsfrist im nationalen Verfahren zuständig. Von einer unmittelbaren Aufnahme in den anderen Mitgliedstaat kann regelmäßig nicht mehr ausgegangen werden.

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