Verhandlung B 6 KA 1/23 R
Vertragsarztrecht - vertragsärztliche Versorgung - hausarztzentrierte Versorgung - Vergütung - Bereinigungsvertrag - Kassenärztlichen Vereinigung - Krankenkasse
Verhandlungstermin
28.08.2024 12:30 Uhr
Terminvorschau
Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz ./. Techniker Krankenkasse
Die klagende Kassenärztliche Vereinigung begehrt von der beklagten Krankenkasse die Zahlung von 4195,75 Euro für die Vergütung von Hausärzten, die im Quartal 3/2018 an der hausarztzentrierten Versorgung (HzV) teilgenommen und die hausärztlichen Leistungen abweichend von den Vorgaben des Hausarztvertrages gegenüber der Klägerin als kollektivvertragliche Leistungen abgerechnet haben.
Die Beklagte hat mit dem Deutschen Hausärzteverband Rheinland-Pfalz e.V. einen Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b SGB V geschlossen (HzV-Vertrag), der vorsieht, dass die vereinbarten Leistungen, die die hieran teilnehmenden Hausärzte (HzV-Ärzte) gegenüber den teilnehmenden Versicherten (HzV-Versicherte) erbringen, von der beklagten Krankenkasse und nicht von der Klägerin aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung vergütet werden. Der daraus folgenden Verringerung des Behandlungsbedarfs in der kollektivvertraglichen Versorgung ist nach § 73b Absatz 7 SGB V durch eine Bereinigung der Gesamtvergütung Rechnung zu tragen.
Für Fälle, in denen die Behandlung von HzV-Versicherten - abweichend von den Vorgaben des HzV-Vertrages - gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet worden ist, haben sowohl der Bewertungsausschuss als auch die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens im Wesentlichen inhaltsgleich geregelt, dass die Krankenkasse diese Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung zu den Preisen der Eurogebührenordnung außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung vergütet. Im Ergebnis kommt es in diesen Fällen zu einer “Rückabwicklung“ der Bereinigung. Die von den Beteiligten im sogenannten Bereinigungsvertrag vereinbarten Regelungen greifen - insofern fast wortgleich mit den Vorgaben des Bewertungsausschusses - ein, wenn “durch HZV-Versicherte eine Inanspruchnahme von gegenüber der KV RLP bereinigten, ambulanten Leistungen“, die Gegenstand des HzV-Vertrages sind, “im Rahmen des Kollektivvertrags“ erfolgt. Die beklagte Krankenkasse trat der Zahlung des im Streit stehenden Betrags für das Quartal 3/2018 mit der Begründung entgegen, dass der Bereinigungsvertrag allein Fallkonstellationen erfasse, in denen ein HzV-Versicherter einen nicht an der HzV teilnehmenden Arzt in Anspruch genommen hat, der seine Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnet. Dagegen hat die klagende Kassenärztliche Vereinigung den geltend gemachten Anspruch damit begründet, dass die Krankenkasse auch solche Leistungen ihr gegenüber außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung zu vergüten habe, die ein HzV-Arzt für die Behandlung des HzV-Versicherten zu Unrecht (auch) gegenüber der Klägerin abgerechnet hat.
Das Sozialgericht hat der Leistungsklage mit der Begründung stattgegeben, dass es nach dem Bereinigungsvertrag nicht darauf ankomme, ob der HzV-Versicherte oder der Vertragsarzt gegen Vorgaben aus dem HzV-Vertrag verstoßen habe. Es sei nicht Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung, Verstöße gegen Vorgaben des HzV-Vertrages zu prüfen und sachlich-rechnerisch zu berichtigen. Vielmehr eröffne der HzV-Vertrag der Beklagten die Möglichkeit, Schadensersatz gegenüber dem doppelt abrechnenden Vertragsarzt geltend zu machen.
Mit ihrer Sprungrevision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Sie macht geltend, dass der Wortlaut der streitigen Regelung solche Fälle nicht erfasse, in denen der HzV-Arzt einen HzV-Versicherten behandelt und zu Unrecht auch gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnet. Die Klägerin müsse solche fehlerhaften Abrechnungen des Arztes sachlich-rechnerisch berichtigen.
Sozialgericht Mainz, S 7 KA 36/19, 7.9.2022
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Terminbericht
Die Sprungrevision der Beklagten war erfolgreich. Die Leistungsklage der Kassenärztlichen Vereinigung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts war aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Ein Anspruch der klagenden Kassenärztlichen Vereinigung gegenüber der beklagten Krankenkasse auf Vergütung für erbrachte Leistungen zu den Preisen der Euro-Gebührenordnung besteht in Fällen, in denen der an der hausarztzentrierten Versorgung (HzV) teilnehmende Versicherte einen nicht an der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmenden Vertragsarzt in Anspruch nimmt, nicht aber in den - hier geltend gemachten - Fällen, in denen der vom Versicherten gewählte HzV-Arzt seine Leistungen zu Unrecht (auch) gegenüber der Klägerin abrechnet. Das folgt aus dem Wortlaut der hier einschlägigen Vorgaben des Bewertungsausschusses und der - damit übereinstimmenden - Regelungen des Bereinigungsvertrags, den die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens geschlossen haben.
Danach setzt der Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten eine “Inanspruchnahme“ von Leistungen “durch HzV-Versicherte … im Rahmen des Kollektivvertrags“ (also gegenüber der Klägerin zu Lasten der Gesamtvergütung) voraus, die bereits Gegenstand des HzV-Vertrags sind und dort vergütet werden (sogenannter HzV-Ziffernkranz). Mit der “Inanspruchnahme“ von ärztlichen Leistungen “durch HzV-Versicherte“ wird - dem Sachleistungsprinzip entsprechend - das sogenannte Erfüllungsverhältnis (Versicherter - Arzt) in dem von dem Versicherten, der Krankenkasse und dem Vertragsarzt gebildeten rechtlichen Beziehungsdreieck angesprochen. Geregelt wird damit der Fall, dass ein an der HzV teilnehmender Versicherter einen nicht an der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmenden Vertragsarzt aufsucht. Diese Leistungen hat die Beklagte gegenüber der Klägerin zu vergüten und darüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit. Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Versicherte seinen gewählten HzV-Arzt in Anspruch nimmt, der jedoch zu Unrecht (auch) gegenüber der Klägerin abrechnet. In diesem Fall nimmt der Versicherte keine kollektivvertraglichen Leistungen, sondern die ihm zustehenden HzV-Leistungen “in Anspruch“. Auf die unrichtige Abrechnung durch den HzV-Arzt hat der Versicherte keinen Einfluss. Es ist Sache der Klägerin, die fehlerhafte Abrechnung des Arztes sachlich-rechnerisch zu berichtigen.
Dagegen kann die Klägerin nicht mit Erfolg einwenden, dass die Unrichtigkeit der Honorarabrechnung des HzV-Arztes allein aus dem HzV-Vertrag folgen würde, an dem sie nicht beteiligt sei. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass der HzV-Vertrag ein Normsetzungsvertrag ist, der nicht allein gegenüber den Vertragspartnern, sondern auch gegenüber Dritten Wirkung entfaltet. Im Übrigen ist die Klägerin an die Vorgaben des Bewertungsausschusses zur Bereinigung gebunden. Ferner obliegt die Lösung der an der Schnittstelle von kollektiv- und selektivvertraglicher Versorgung auftretenden Abgrenzungsfragen nicht allein den Krankenkassen. Diese können nicht frei darüber entscheiden, ob sie ihren Versicherten eine HzV-Versorgung anbieten möchten, sondern sie sind dazu gesetzlich verpflichtet. Auch die in diesem Zusammenhang durchzuführende Bereinigung der Gesamtvergütung ist gesetzlich vorgegeben. Die daraus folgenden Fragen und Umsetzungsprobleme können von den Partnern des Bereinigungsvertrags nur gemeinsam gelöst werden.
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