Verhandlung B 6 KA 8/23 R
Vertragsarztrecht - Vergütung - Zusatzpauschale - Gebührenordnungsposition 04040 EBM-Ä - Aufschlag - überdurchschnittliche Fallzahlen - Berufsausübungsgemeinschaft - Jobsharing
Verhandlungstermin
28.08.2024 10:00 Uhr
Terminvorschau
BAG Dr. I. K. und G. S. ./. Kassenärztliche Vereinigung Hessen
Die Beteiligten streiten über die Höhe vertragsärztlichen Honorars nach der Gebührenordnungsposition 04040 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) im Quartal 1/2015 (Zusatzpauschale zu pädiatrischen Versichertenpauschalen für die Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrags). In der klagenden Berufsausübungsgemeinschaft haben sich eine Fachärztin und ein Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin im Rahmen eines sogenannten Jobsharings zusammengeschlossen. Insofern wurde die Ärztin durch den Zulassungsausschuss mit Wirkung zum 1. Januar 2015 als Juniorpartnerin zur gemeinsamen vertragsärztlichen Versorgung mit dem zuvor allein praktizierenden Arzt zugelassen.
Im Honorarbescheid für das Quartal 1/2015 brachte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung den in der Gebührenordnungsposition 04040 EBM-Ä vorgesehenen Aufschlag für überdurchschnittliche Fallzahlen ab 1200 Behandlungsfällen je Arzt nicht in Ansatz, obwohl die Praxis diese Zahl überschritten hatte. Die Beklagte dividierte die Zahl der relevanten Behandlungsfälle der Praxis durch zwei Ärzte und verwies darauf, dass es nach der Gebührenordnungsposition 04040 EBM-Ä für die Bestimmung der Anzahl der Ärzte auf den Umfang der Tätigkeit laut Zulassungs- beziehungsweise Genehmigungsbescheid ankomme, der hier keine Regelungen über eine Beschränkung des Zulassungsumfangs enthalte. Der hiergegen gerichtete Widerspruch, mit dem die Klägerin aufgrund des Jobsharings wie eine Einzelpraxis mit mehr als 1200 Behandlungsfällen behandelt werden wollte, blieb ohne Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin war erfolgreich. Das Landessozialgericht hat die Beklagte verpflichtet, einen Aufschlag für überdurchschnittliche Fallzahlen in Ansatz zu bringen. Eine Division der Behandlungsfälle der Praxis durch zwei Ärzte dürfe wegen der Besonderheiten des Jobsharings nicht erfolgen, da sich der zugelassene Seniorarzt seinen Versorgungsauftrag mit der Juniorärztin teile. Die Zulassung des Jobsharing-Partners sei an die Zulassung des Praxispartners gebunden. Zudem hätten sich die Ärzte im Rahmen des Jobsharings verpflichtet, den bisherigen Leistungsumfang beizubehalten beziehungsweise nicht wesentlich zu überschreiten.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Landessozialgericht habe die Gebührenordnungsposition 04040 EBM-Ä unzutreffend ausgelegt. Für die Prüfung der Voraussetzungen des Aufschlags habe die Gesamtfallzahl der Behandlungsfälle durch zwei Ärzte dividiert werden müssen. Bei Gründung des Jobsharing seien keine Regelungen über eine Beschränkung des Umfangs der vertragsärztlichen Tätigkeit getroffen worden. Die Ärzte seien auch über die Punktzahlobergrenze des Jobsharing hinaus befugt, vertragsärztlich tätig zu werden und Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung zu behandeln.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Marburg, S 11 KA 686/16, 29.01.2020
Hessisches Landessozialgericht, L 4 KA 6/20, 22.03.2023
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Terminbericht
Die Revision der Beklagten war erfolglos. Das Landessozialgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Klägerin im Quartal 1/2015 höheres Honorar zusteht. Bei der GOP 04040 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) ist der Aufschlag für überdurchschnittliche Fallzahlen zu berücksichtigen.
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten durften die Behandlungsfälle der Praxis nicht durch zwei Ärzte geteilt werden, da die beiden Jobsharing-Ärzte sich einen Versorgungsauftrag teilen. Dass es entscheidend auf den Versorgungsauftrag ankommt, folgt aus dem Wortlaut der Anmerkung zu der streitigen Gebührenordnungsposition. Für den Aufschlag für Praxen “mit mehr als 1200 Behandlungsfällen je Arzt“ kommt es für die Bestimmung der Anzahl der Ärzte auf den “Umfang der Tätigkeit laut Zulassungs- beziehungsweise Genehmigungsbescheid“ an. Gemeint ist damit der Versorgungsauftrag, dessen konkreter Umfang im Zulassungs- beziehungsweise Genehmigungsbescheid festgelegt wird. Einer Sonderregelung für die Fälle des Jobsharings in der streitigen Gebührenordnungsposition bedurfte es daher nicht.
Dieser Auslegung steht nicht der Einwand der Beklagten entgegen, dass mit der Zulassung im Rahmen des Jobsharings kein reduzierter Umfang der vertragsärztlichen Tätigkeit pro Arzt verbunden sei. Entscheidend ist, dass sich die zur gemeinsamen vertragsärztlichen Tätigkeit zugelassenen Jobsharing-Ärzte einen Versorgungsauftrag teilen. Die Leistungsbegrenzung im Rahmen des Jobsharings bewirkt zwar kein Leistungserbringungsverbot gegenüber Versicherten, sondern nur einen Abrechnungsausschluss. Durch die Bezugnahme auf den “Umfang der Tätigkeit laut Zulassungs- beziehungsweise Genehmigungsbescheid" stellt der EBM-Ä jedoch selbst die Verknüpfung zwischen der Honorierung der Leistungen und der Bedarfsplanung her. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit den bei der Einführung der Gebührenordnungsposition 04040 EBM-Ä verfolgten Zielen der Stärkung der Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrags im pädiatrischen Bereich sowie der Berücksichtigung der größenabhängigen Strukturen durch einen Zu- oder Abschlag.
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