Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 5/23 R

Krankenversicherung - Nutzenbewertung - Kombinationsarzneimittel - Trimbow® - Asthma bronchiale- zugelassenes Anwendungsgebiet - neuer Wirkstoff - Zulassungserweiterung - Unterlagenschutz 

Verhandlungstermin 05.09.2024 10:00 Uhr

Terminvorschau

C. GmbH ./. Gemeinsamer Bundesausschuss
beigeladen: GKV-Spitzenverband
Im Streit steht die Nutzenbewertung des Kombinationsarzneimittels Trimbow® im Anwendungsgebiet Asthma bronchiale.

Die Klägerin ist ein pharmazeutischer Unternehmer und vertreibt seit dem 15. August 2017 das Fertigarzneimittel Trimbow® in Deutschland. Dieses ist eine fixe Kombination bekannter Wirkstoffe, die seit 17. Juli 2017 zunächst nur für die Behandlung der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) bei Erwachsenen erstmals zugelassen war, der Verschreibungspflicht unterlag und für die ein neuer Unterlagenschutz erteilt worden war.

Eine Nutzenbewertung nach § 35a SGB V fand zunächst nicht statt. Trimbow® unterlag im zugelassenen Anwendungsgebiet COPD nach Auffassung auch des beklagten Gemeinsamen Bundesausschusses nicht der Nutzenbewertung, “da die Wirkstoffkombination keinen neuen Wirkstoff enthält und das Anwendungsgebiet der Fixkombination in den zugelassenen Anwendungsgebieten der jeweiligen Einzelsubstanzen enthalten ist“. Mit Blick auf die von der Klägerin erstrebte Zulassungserweiterung um das Anwendungsgebiet Asthma bronchiale bei Erwachsenen knüpfte der Beklagte hieran an: “Da das Arzneimittel Trimbow® zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens nicht dem Geltungsbereich nach § 35a SGB V unterlag, führt die Erweiterung des Anwendungsgebietes zu keinem neuen Sachverhalt“. Zugleich wies er darauf hin, dass eine neue Rechtslage eine Neubewertung erforderlich machen könne.

Nach einer Änderung des 5. Kapitels der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses (VerfOGBA) durch Einfügung der Nummer 4a in § 1 Absatz 2, aufgrund der eine Nutzenbewertung - unter weiteren Voraussetzungen - auch durchgeführt wird, wenn nach erstmaligem Inverkehrbringen einer fixen Kombination aus bekannten Wirkstoffen die Zulassung eines neuen Anwendungsgebiets erstmals eine Dossierpflicht begründet, forderte der Beklagte die Klägerin auf, nach künftiger Zulassungserweiterung ein Dossier für die Indikation Asthma bronchiale einzureichen, weil ein Wirkstoff der Kombination bislang nicht für diese Indikation zugelassen sei.

Nach Zulassung des neuen Anwendungsgebiets wandte sich die Klägerin mit einer Feststellungsklage zunächst gegen die auf 5. Kapitel § 1 Absatz 2 Nummer 4a VerfOGBA gestützte Dossieraufforderung des Beklagten für Trimbow® in der Indikation Asthma bronchiale.

Der Beklagte beschloss nach fristgerechter Vorlage eines Dossiers durch die Klägerin und Durchführung einer Nutzenbewertung eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie Anlage XII. Nach dieser ist ein Zusatznutzen für Trimbow® im Anwendungsgebiet Asthma gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht belegt. Nachfolgend einigten sich die Klägerin und der beigeladene GKV-Spitzenverband auf eine Erstattungsbetragsvereinbarung nach § 130b SGB V für Trimbow®. Die Klägerin hielt gleichwohl an ihrem Rechtsstandpunkt fest, dass die gesetzlichen Voraussetzungen einer Vereinbarung nicht gegeben seien.

Daraufhin hat die Klägerin mit einer “Klageerweiterung“ Feststellungsklage gegen den Nutzenbewertungsbeschluss erhoben. Auf entsprechenden richterlichen Hinweis nahm sie ihre zuvor erhobene Feststellungsklage gegen die Dossieraufforderung zurück.

Das Landessozialgericht hat die Klage abgewiesen: Der Nutzenbewertungsbeschluss, gegen den die Feststellungsklage sich allein noch zulässig richte, sei rechtmäßig, insbesondere begegne der von der Klägerin allein beanstandete Aufruf zur Nutzenbewertung nach Zulassung eines neuen Anwendungsgebiets der Wirkstoffkombination keinen rechtlichen Bedenken. Dieser Aufruf bewege sich im Rahmen der Regularien der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses, die mit höherrangigem Recht vereinbar seien. Die Durchführung der Nutzenbewertung verstoße entgegen dem Vorbringen der Klägerin auch nicht gegen das “Gesamtkonzept des AMNOG“.

Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 35a Absatz 1 Satz 1 SGBV. Der Nutzenbewertungsbeschluss sei rechtswidrig und unwirksam, weil Trimbow® kein Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sei und daher nicht der Nutzenbewertung unterlegen habe. Die Änderung der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses, auf die dieser die Dossierpflicht von Trimbow® nach Zulassungserweiterung gestützt habe, sei rechtswidrig, weil sie über den gesetzlich vorgegebenen Anwendungsbereich der Nutzenbewertung - konkretisiert in der Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung (AM-NutzenV) - hinausgehe. Die unrechtmäßige Einbeziehung von Trimbow® in die Nutzenbewertung verletze die Klägerin in ihren Rechten.

Verfahrensgang:
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 9 KR 26/21 KL, 26.04.2023

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 31/24.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin war erfolgreich. Der Nutzenbewertungsbeschluss des beklagten Gemeinsamen Bundesausschusses ist schon deshalb rechtswidrig und unwirksam, weil mangels tragfähiger Rechtsgrundlage hierfür über eine Nutzenbewertung des Arzneimittels Trimbow® im neuen Anwendungsgebiet Asthma bronchiale nicht zu beschließen war.

Die obligatorische Nutzenbewertung nach § 35a Absatz 1 Satz 1 SGB V ist eine vergleichende Bewertung des medizinischen Zusatznutzens eines Arzneimittels mit neuen Wirkstoffen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. Sie ist als erste Stufe des zweistufigen Systems der Preisregulierung für erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen die Grundlage für die wirtschaftliche Preisregulierung des Arzneimittels, die nach § 130b SGB V auf der zweiten Stufe durch Erstattungsbetragsvereinbarung zwischen pharmazeutischem Unternehmer und GKV-Spitzenverband oder durch Schiedsspruch erfolgt.

Trimbow® ist kein Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, das dieser Nutzenbewertung unterlag. Ausgehend von den einschlägigen Rechtsgrundlagen im Gesetz und in der Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung (AM-NutzenV) hat der Gemeinsame Bundesausschuss mit seinem Nutzenbewertungsbeschluss den ihm als Normgeber zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten. Trimbow® gehört weder nach § 35a Absatz 1 SGB V noch nach der AM-NutzenV zu den Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen, die der obligatorischen Nutzenbewertung unterliegen.

Es ist zwar ein erstattungsfähiges Arzneimittel, aber keines mit neuen Wirkstoffen nach § 35a Absatz 1 Satz 1 SGB V, denn die drei Wirkstoffe dieses Kombinationsarzneimittels sind nicht im Sinne dieser Regelung neu, sondern waren bei dessen Erstzulassung - für das Anwendungsgebiet COPD - bekannt. Hieran hat sich durch die spätere Erweiterung der Zulassung auf das neue Anwendungsgebiet Asthma nichts geändert. Insbesondere führte diese nicht zur Anwendung des § 35a Absatz 1 Satz 3 SGB V. Soweit dort von “Zulassung neuer Anwendungsgebiete des Arzneimittels“ die Rede ist, bezieht sich dies allein auf Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen im Sinne des § 35a Absatz 1 Satz 1 SGB V. Erfasst wird Trimbow® auch nicht von § 35 Absatz 6 SGB V, weil mit der Zulassungserweiterung ein neuer Unterlagenschutz nicht erteilt worden ist. Darauf, ob das Arzneimittel als Kombination bekannter Wirkstoffe neu sein könnte, stellt das Gesetz nicht ab; § 35a SGB V verhält sich zu Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffkombinationen nicht ausdrücklich.

Ausdrücklich geregelt werden diese zwar in § 3 Absatz 1 AM-NutzenV, eine eigenständige Definition des Begriffs “Arzneimittel mit neuen Wirkstoffkombinationen“ enthält indes auch die Verordnung nicht. Für diesen Begriff kann in der Verordnung nur an den Begriff der Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen nach § 2 Absatz 1 AM-NutzenV angeknüpft werden. Trimbow® ist auch danach kein Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, weil es nur Wirkstoffe enthält, die bereits im Zeitpunkt der Erstzulassung des Arzneimittels im Sinne des § 2 Absatz 1 AM-NutzenV nicht mehr neu, sondern bekannt waren, weshalb auch nach der AM-NutzenV die spätere Zulassungserweiterung nicht zur obligatorischen Nutzenbewertung führen konnte. Darauf, ob das Arzneimittel als Kombination bekannter Wirkstoffe neu sein könnte, stellt wie das Gesetz auch die Verordnung nicht ab. Sie nimmt in diesem Zusammenhang auch keinen Bezug auf die Verschreibungspflicht eines neu zugelassenen Kombinationsarzneimittels oder dessen Unterlagenschutz.

Anderes folgt nicht aus der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses (VerfOGBA). Diese enthält in 5. Kapitel § 2 Absatz 1 Satz 3 Nummer 1 eine ermächtigungskonforme konkretisierende Begriffsbestimmung, nach der als Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen auch gelten fixe Kombinationen von Wirkstoffen, die Unterlagenschutz genießen, wenn sie entweder einen neuen Wirkstoff enthalten (Spiegelstrich 1) oder sofern die Kombination aus bekannten Wirkstoffen besteht, wenn die Anwendungsgebiete dieser Kombination mit den Anwendungsgebieten der einzelnen Wirkstoffe jeweils ganz oder teilweise nicht identisch sind (Spiegelstrich 2). Beide Alternativen trafen auf Trimbow® bei Erstzulassung nicht zu. Dessen spätere Zulassungserweiterung führte auch nach der VerfOGBA nicht zur Nutzenbewertung, soweit diese - Gesetz und Verordnung entsprechend - die Durchführung einer zweiten oder weiteren Nutzenbewertung nur nach Durchführung oder Veranlassung einer ersten oder sonst vorangegangenen Nutzenbewertung des Arzneimittels bestimmt. Eine solche war hier mangels Neuheit nach Erstzulassung von Trimbow® nicht durchzuführen.

Für eine Nutzenbewertung nach der Zulassungserweiterung von Trimbow® kommt als Rechtsgrundlage allein die nicht im Gesetz und auch nicht in der AM-NutzenV enthaltene oder auch nur angelegte Bestimmung in 5. Kapitel § 1 Absatz 2 Nummer 4a VerfOGBA in Betracht. Nach dieser wird die Nutzenbewertung nach § 35a Absatz 1 SGB V durchgeführt für erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen und neuen Wirkstoffkombinationen, die ab dem 1. Januar 2011 erstmals in den Verkehr gebracht werden und bei denen nach diesem Zeitpunkt die Zulassung eines neuen Anwendungsgebiets erstmals nach 5. Kapitel § 2 Absatz 1 Satz 3 Nummer 1 Spiegelstrich 2 VerfOGBA die Verpflichtung zur Vorlage eines vollständigen Dossiers begründet. Seit der Erweiterung der Zulassung um das Anwendungsgebiet Asthma gilt das Kombinationsarzneimittel Trimbow® nach 5. Kapitel § 2 Absatz 1 Satz 3 Nummer 1 Spiegelstrich 2 VerfOGBA erstmals als ein Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, weil seine fixe Kombination, die Unterlagenschutz genießt, zwar aus bekannten Wirkstoffen besteht, die Anwendungsgebiete dieser Kombination aber mit den Anwendungsgebieten der einzelnen Wirkstoffe teilweise nicht mehr identisch sind. Solche Arzneimittel der obligatorischen Nutzenbewertung zu unterziehen, ist auch das Regelungsziel des 5. Kapitel § 1 Absatz 2 Nummer 4a VerfOGBA, und auf diese Regelung ist der hier streitige Nutzenbewertungsbeschluss gestützt.

 

Für diese konstitutive Ausdehnung des Anwendungsbereichs der obligatorischen Nutzenbewertung gegenüber Gesetz und Verordnung durch die Bestimmung einer erstmaligen Dossierpflicht für Kombinationsarzneimittel nach Zulassungserweiterung fehlt es dem Gemeinsamen Bundesausschuss jedoch an einer auch aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlichen hinreichenden höherrangigen Ermächtigungsgrundlage, so dass sein Nutzenbewertungsbeschluss mangels tragfähiger Rechtsgrundlage rechtswidrig und unwirksam ist. Eine genügende Ermächtigungsgrundlage vermag nicht bereits daraus zu folgen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss zur Regelung weiterer Einzelheiten in seiner Verfahrensordnung gesetzlich ermächtigt ist. Die Bestimmung eines dossierpflichtbegründenden Ereignisses in der Verfahrensordnung, die zur erstmaligen Anwendung der Regelungen zur obligatorischen Nutzenbewertung führt, ist mehr als eine Einzelheit des Verfahrens der Nutzenbewertung.

Die echte notwendige Beiladung des GKV-Spitzenverbands zum Rechtsstreit hat der Senat im Termin aufgehoben.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 31/24.

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