Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 21/22 R

Krankenversicherung - Rezepturzuschläge - zytostatikahaltige parenterale Lösungen - Spritzen - applikationsfertige Einheit - Gesamttagesdosis - Hilfstaxe - Wirtschaftlichkeit - Retaxierung 

Verhandlungstermin 05.09.2024 14:30 Uhr

Terminvorschau

Dr. C. W.  ./.  AOK Bayern
Im Streit steht der Anspruch auf Rezepturzuschläge für zytostatikahaltige parenterale Lösungen.

Der klagende Apothekeninhaber stellte 2014 auf ärztliche Verordnung zytostatikahaltige parenterale Lösungen für Versicherte der beklagten Krankenkasse her. Verordnet worden waren in den streitigen Abrechnungsfällen je Verordnungsblatt “2x Azacitidin“ mit jeweils mehr als 50 Milligramm Wirkstoff; nach der Fachinformation für das Arzneimittel sollten Dosen über 100 Milligramm zu gleichen Teilen auf zwei Spritzen aufgeteilt werden. Der Kläger rechnete je Verordnung zwei Zuschläge für zwei Spritzen mit hergestellter Zubereitung ab. Die Beklagte beanstandete die zunächst von ihr vergüteten zwei Zuschläge, hielt nur einen je Verordnung für abrechnungsfähig und rechnete die beanstandeten Zuschläge gegen spätere unstreitige Vergütungsforderungen des Klägers auf (Retaxierung). Abgerechnet werden könne nach der Anlage 3 Teil 2 Ziffer 6 des Vertrags über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen (Hilfstaxe) nur je Verordnung ein Zuschlag, denn der hier geregelte Zuschlag “pro applikationsfertiger Einheit“ knüpfe nicht an die einzelne Spritze, sondern an die ärztlich verordnete Gesamttagesdosis an.

Das Sozialgericht hat die auf Zahlung einbehaltener Vergütung von 5994,74 Euro nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung verurteilt: Der Kläger habe den Zuschlag zutreffend je hergestellter Spritze angesetzt, da jede Spritze eine applikationsfertige Einheit im Sinne der Anlage 3 Teil 2 Ziffer 6 der Hilfstaxe sei. Dies ergebe sich aus dem für die Auslegung der Abrechnungsbestimmung maßgeblichen Wortlaut. Verordnet worden seien je Verordnung zwei Spritzen, die je für sich eine applikationsfertige Einheit seien. Auch aus dem systematischen Zusammenhang innerhalb der Hilfstaxe ergebe sich, dass mit dem Begriff der applikationsfertigen Einheit nicht auf die Gesamtmenge je Verordnung abgestellt werde.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 12 SGB V. Die Hilfstaxe sei vom Landessozialgericht rechtsfehlerhaft so ausgelegt worden, dass damit den Apotheken eine doppelte Abrechnung des Zuschlags ermöglicht werde, wo eine solche Abrechnung von den Vertragspartnern der Hilfstaxe nicht beabsichtigt gewesen sei und unnötig hohe Kosten für das Gesundheitswesen verursache. Vielmehr setze die Hilfstaxe die applikationsfertige Einheit mit dem Bedarf eines Tages (ärztlich verordnete Gesamttagesdosis) gleich.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Altenburg, S 13 KR 1201/16, 02.08.2018
Thüringer Landessozialgericht, L 6 KR 1224/18, 10.03.2022

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 31/24.

Terminbericht

Die Revision der Beklagten war erfolglos. Der vom Kläger abgerechnete Rezepturzuschlag je Spritze ist rechtmäßig, weshalb die von der Beklagten vorgenommene Retaxierung rechtswidrig ist und der Kläger Anspruch auf Auszahlung der einbehaltenen Vergütung hat.

Die Abrechnung des Zuschlags richtet sich hier nach der zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband e.V. vertraglich vereinbarten Hilfstaxe, mit der in Abweichung von den Bestimmungen des § 5 Arzneimittelpreisverordnung und aufgrund der dort erteilten Ermächtigung Apothekenzuschläge für Zubereitungen aus Stoffen geregelt werden. Nach Anlage 3 Teil 2 Ziffer 6 der Hilfstaxe war im streitigen Zeitraum für die Herstellung zytostatikahaltiger parenteraler Zubereitungen “pro applikationsfertiger Einheit“ ein Zuschlag abrechnungsfähig. Diese Regelung ist als eine normenvertragliche Abrechnungsbestimmung nach ständiger Rechtsprechung auch des Senats streng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht.

Ausgehend hiervon ist mit “pro applikationsfertiger Einheit“ zum Ausdruck gebracht, dass jede je für sich abgabefertige und je für sich vollständige, hergestellte Zubereitung zur Abrechnung eines Rezepturzuschlags berechtigt, bei Spritzen - wie hier - danach jede einzelne injektionsfertige Spritze mit hergestellter Zubereitung. Applikationsfertig in diesem wörtlichen Sinne ist eine Einheit auch dann, wenn es zur Erreichung der ärztlich verordneten Gesamttagesdosis einer weiteren applikationsfertigen Einheit bedarf, hier einer zweiten Spritze. Diesem Wortlautverständnis der vorliegend maßgeblichen vertraglichen Zuschlagsregelung steht nicht entgegen, dass eine verordnete Tagesdosis aus mehreren applikationsfertigen Einheiten bestehen kann, selbst wenn diese auf einmal zu verabreichen sein sollten. Die Abrechnungsbestimmung zum Rezepturzuschlag bezieht sich nach ihrem Wortlaut nicht auf die ärztlich verordnete Gesamttagesdosis hergestellter zytostatikahaltiger parenteraler Zubereitungen.

Anderes folgt nicht unter Einbeziehung systematischer Zusammenhänge innerhalb der Hilfstaxe. Vielmehr knüpft danach die Abrechnung des herstellenden Apothekers an die ärztliche Verordnung an (hier “2x Azacitidin“) und werden applikationsfertige Einheiten mit einzelnen Zubereitungen gleichgesetzt. Zudem wird in der Hilfstaxe die an einem Tag je Verordnung hergestellte Anzahl identischer applikationsfertiger Einheiten als Charge bezeichnet. An diesen Begriff knüpft indes die Zuschlagsregelung nicht an; abrechnungsfähig ist nach dieser ein Zuschlag für die Herstellung zytostatikahaltiger parenteraler Zubereitungen “pro applikationsfertiger Einheit“ und nicht pro Charge. Ein Bezug des abrechnungsfähigen Rezepturzuschlags auf die ärztlich verordnete Gesamttagesdosis ergibt sich daher auch nicht aus systematischen Erwägungen.

Hätte die vertragliche Zuschlagsregelung einen Rezepturzuschlag für eine verordnete Gesamttagesdosis zytostatikahaltiger parenteraler Zubereitungen vorsehen sollen, hätte dies von den Vertragspartnern der Hilfstaxe so ausdrücklich vereinbart werden müssen. Deren Vereinbarung eines Zuschlags pro applikationsfertiger Einheit - und damit je hergestellter einzelner Zubereitung (hier: je injektionsfertiger Spritze) - überschreitet nicht den gerichtlich nur begrenzt überprüfbaren Gestaltungsspielraum der Vertragspartner.

Der vom Kläger abgerechnete Zuschlag je Spritze mit hergestellter Zubereitung steht somit in Übereinstimmung mit der vertraglichen Abrechnungsbestimmung. Der Kläger hatte auch keinen Anlass, die Verordnung von “2x Azacitidin“ mit jeweils mehr als 50 Milligramm Wirkstoff für unplausibel und vor Herstellung und Abrechnung für mit dem verordnenden Arzt klärungsbedürftig zu halten, weil sie der Fachinformation für das Arzneimittel entsprach.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 31/24.

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