Verhandlung B 12 R 3/22 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - Rentenversicherung - rückwirkende Befreiung - Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte - Syndikusrechtsanwalt
Verhandlungstermin
19.09.2024 12:00 Uhr
Terminvorschau
M. B. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
beigeladen: 1. NN Arbeitgeberverband, 2. Versorgungswerk der Rechtsanwältinnen
Der Kläger war nach seinem erfolgreich bestandenen Zweiten Juristischen Staatsexamen ab dem 1. November 2014 bei einem Arbeitgeberverband versicherungspflichtig beschäftigt. Er beantragte zunächst keine Zulassung als Rechtsanwalt. Am 29. März 2016 beantragte er bei der Rechtsanwaltskammer die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für seine seit November 2014 ununterbrochen ausgeübte Tätigkeit. Zugleich beantragte er bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie die rückwirkende Befreiung und die Erstattung zu Unrecht gezahlter Pflichtbeiträge an das beigeladene Versorgungswerk. Die Rechtsanwaltskammer ließ den Kläger als Syndikusrechtsanwalt zu. Die Beklagte befreite den Kläger zwar von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 1. Dezember 2016, lehnte aber die rückwirkende Befreiung ab, da der Kläger erst seit 17. November 2016 Pflichtmitglied des beigeladenen Versorgungswerks sei.
Das Sozialgericht hat die Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger rückwirkend zu befreien und die zu Unrecht gezahlten Beiträge zu erstatten. Für eine rückwirkende Befreiung sei keine Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk über den gesamten Rückwirkungszeitraum erforderlich. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zwar seien die Voraussetzungen für eine Rückwirkung nach dem Wortlaut der Rückwirkungsvorschrift erfüllt. Diese sei aber im Kontext der übrigen Regelungen und nach ihrem Zweck so zu verstehen, dass über den kompletten Rückwirkungszeitraum ein Bezug zum Versorgungswerk bestehen müsse.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 231 Absatz 4b Satz 1 SGB VI. Dessen Tatbestand setze keine Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk oder eine Zulassung als Rechtsanwalt für den kompletten Rückwirkungszeitraum voraus. Die Zulassung als Rechtsanwalt sei für die Tätigkeit als Syndikus damals aufgrund der Rechtsprechung gar nicht möglich gewesen. Die Möglichkeit einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt sei erst zum 1. Januar 2016 geschaffen worden.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Lübeck, S 45 R 263/18, 09.08.2019
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, L 1 R 124/19, 17.03.2022
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Terminbericht
Die Revision des Klägers ist überwiegend erfolgreich gewesen. Der Kläger hat einen Anspruch auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis zum 30. November 2016 für die Beschäftigung bei dem Beigeladenen zu 1. Unstreitig wurde der Kläger für diese Beschäftigung ab dem 1. Dezember 2016 von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt befreit. Er hat die rückwirkende Befreiung fristgerecht beantragt. Der Wortlaut des § 231 Absatz 4b Satz 1 SGB VI fordert für die rückwirkende Befreiung nicht, dass Antragsteller über den gesamten Rückwirkungszeitraum Mitglied in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung waren. Eine einschränkende Anwendung der Norm ist insoweit auch nicht angezeigt. Dafür könnte zwar sprechen, dass dadurch den grundsätzlichen Zielen des Befreiungsrechts, eine Doppelmitgliedschaft in zwei Versicherungssystemen und eventuell entstehende Lücken in der Absicherung zu vermeiden, Rechnung getragen würde. Umgekehrt dokumentieren die einschlägigen Regelungen aber auch das Ziel, Brüche in der Versicherungsbiografie durch einen Systemwechsel aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Befreiung von Syndikusanwälten vom 3. April 2014 zu vermeiden. Die Revision des Klägers ist hingegen erfolglos geblieben, soweit er die Erstattung von Beiträgen begehrt. Die Klage ist insoweit unzulässig, weil es an einem entsprechenden Verwaltungsakt fehlt.
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