Verhandlung B 12 R 6/22 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - Rentenversicherung - Befreiungsbescheid - Auslegung - Wechsel des Arbeitgebers
Verhandlungstermin
19.09.2024 10:00 Uhr
Terminvorschau
I. D. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
beigeladen: 1. NN AG, 2. Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen
Die Beklagte befreite die seit Januar 2003 als Rechtsanwältin zugelassene Klägerin ab 1. Oktober 2003 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Antrag hatte die Klägerin angegeben, sie sei "angestellt" und "berufsspezifisch beschäftigt" als "Referentin/Rechtsabteilung" bei einem Verband. Nach der Grußformel enthält der Bescheid die Aussage: "Auf Ihren Antrag werden Sie von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten befreit." Im folgenden (abgegrenzten) Teil werden Angaben zum Eingang des Befreiungsantrags ("13.10.2003"), zur Art der berufsspezifischen Beschäftigung beziehungsweise Tätigkeit ("Rechtsanwältin"), zum Beginn des Beschäftigungsverhältnisses ("01.10.03"), zur Pflichtmitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung und der Berufskammer ("25.01.03") und zum Befreiungsbeginn ("1. Okt. 2003") gemacht. Noch vor der Rechtsbehelfsbelehrung wird ausgeführt: "Die Befreiung gilt für die oben genannte und weitere berufsspezifische Beschäftigungen / Tätigkeiten, solange hierfür eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer besteht und solange Versorgungsabgaben beziehungsweise Beiträge in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die Befreiung zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären."
Ab 1. Juli 2007 war die Klägerin für den beigeladenen Arbeitgeber tätig. Anlässlich einer Betriebsprüfung meldete dieser die Klägerin ab Januar 2015 als versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung an und entrichtete Pflichtbeiträge an die Beklagte. Die Klägerin beantragte bei der Beklagten daraufhin erfolglos die Feststellung, dass die im früheren Bescheid ausgesprochene Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als "Rechtsanwältin" auch die ab dem 1. Juli 2007 von ihr ausgeübte Beschäftigung umfasse.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Sozialgerichts abgeändert, die angefochtenen Bescheide zum Teil aufgehoben und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Eine Befreiung hinsichtlich der neuen Tätigkeit habe die Klägerin nicht beantragt. Der frühere Befreiungsbescheid umfasse die aktuelle Tätigkeit nicht. Mit dem Wechsel der Beschäftigung habe er sich erledigt. Der Passus zur Geltung der Befreiung für weitere berufsspezifische Beschäftigungen sei lediglich ein Hinweis ohne Verwaltungsaktqualität.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der § 133, § 157 BGB in Verbindung mit § 31, § 32, § 39 Absatz 2 SGB X in Verbindung mit Artikel 2 und Artikel 20 GG. Der Verfügungssatz des früheren Bescheides beschränke sich nicht auf die im Antrag angegebene Beschäftigung. Auch die aktuelle Beschäftigung sei hiervon umfasst. Es habe der Verwaltungspraxis entsprochen, dass Befreiungsbescheide auch für Tätigkeiten bei anderen Arbeitgebern fortgälten, sofern diese Tätigkeiten berufsspezifisch und von den Pflichtmitgliedschaften in der Kammer einerseits und im Versorgungswerk andererseits begleitet seien.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Köln, S 2 720/19 WA, 27.01.2020
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 4 341/20, 28.05.2021
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Terminbericht
Der Senat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die mit dem früheren Bescheid im Jahr 2003 erteilte Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung betrifft nur die damals ausgeübte Tätigkeit und umfasst nicht die von der Klägerin ab 1. Juli 2007 bei einem anderen Arbeitgeber ausgeübte Beschäftigung. Der frühere Formularbescheid enthält aus Sicht eines verständigen Empfängers allein im Eingangssatz in Verbindung mit den ihm unmittelbar folgenden und ihn konkretisierenden (umrandeten) Ausführungen einen Verfügungssatz mit Regelungscharakter und damit einen Verwaltungsakt. Dass es sich bei dem zu befreienden Beschäftigungsverhältnis nicht pauschal um eine Tätigkeit als "Rechtsanwältin" handelt, ergibt sich unter anderem aus der separaten Feststellung des konkreten Beginns der Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk und der Berufskammer. Der Befreiungsbescheid bestimmt den Beginn der Befreiung demnach nach dem Beginn des damaligen Beschäftigungsverhältnisses und dem konkret darauf bezogenen Antrag. Mit der Aufgabe der damaligen Beschäftigung hat sich der frühere Bescheid erledigt. Er kann nicht so verstanden werden, dass er die neue Beschäftigung der Klägerin bei einem anderen Arbeitgeber ab 1. Juli 2007 in die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung einbezieht. Die Passage "die Befreiung gilt für die obengenannte und weitere berufsspezifische Beschäftigungen / Tätigkeiten, solange hierfür eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer besteht und solange Versorgungsabgaben beziehungsweise Beiträge in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die Befreiung zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären" ist ein allgemeiner unbestimmter Hinweis. Das war für die Klägerin auch erkennbar. Eine Einbeziehung der späteren Beschäftigung kann auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs oder aus Vertrauensschutzgründen erfolgen.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 33/24.