Verhandlung B 11 AL 7/23 R
Arbeitslosenversicherung - Arbeitslosengeld - Bemessungsentgelt - Arbeitszeitbeschränkung - Bestandsschutz
Verhandlungstermin
24.09.2024 11:30 Uhr
Terminvorschau
N. S. ./. Bundesagentur für Arbeit
Die Beteiligten streiten über die Höhe eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld und insbesondere darüber, welches Bemessungsentgelt zugrunde zu legen ist.
Die Klägerin bezog von der beklagten Bundesagentur für Arbeit nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Krankenschwester (wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden) vom 1. Oktober bis 22. Dezember 2016 Arbeitslosengeld, dessen Berechnung ein tägliches Bemessungsentgelt von 50,08 Euro zugrunde lag. Vom 8. Februar 2017 bis zum 13. Februar 2018 war sie als Gesundheits- und Krankenpflegerin erneut versicherungspflichtig beschäftigt (wöchentliche Arbeitszeit 20 Stunden). Nach dem Bezug von Krankengeld meldete sich die Klägerin am 3. April 2018 abermals arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Die Beklagte bewilligte dies ab 3. April 2018 und legte der Berechnung wegen der Anwendung der sogenannten Bestandsschutzregelung des § 151 Absatz 4 SGB III das tägliche Bemessungsentgelt in Höhe von 50,08 Euro aus dem Arbeitslosengeld-Vorbezug zugrunde. Am 30. Mai 2018 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten, sich lediglich für 15 Stunden wöchentlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Die Beklagte bewilligte daraufhin ab dem 30. Mai 2018 Arbeitslosengeld nur noch in Höhe von täglich 9,94 Euro. Der Berechnung legte sie ein Bemessungsentgelt in Höhe von 18,78 Euro täglich zugrunde, ausgehend von 50,08 Euro (Bemessungsentgelt aus dem Vorbezug) und entsprechend dem Verhältnis der der Klägerin aktuell möglichen Wochenarbeitszeit von 15 Stunden zu der früher geleisteten von 40 Stunden.
Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben, soweit die Beklagte darin ein tägliches Bemessungsentgelt von weniger als 37,56 Euro (50,08 Euro : 20 Stunden x 15 Stunden) zugrunde gelegt hatte, und die weitergehende Klage abgewiesen. Wegen der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 20 Wochenstunden in den letzten Beschäftigungsverhältnissen vor der Arbeitslosigkeit sei ein Bemessungsentgelt in dieser Höhe täglich zugrunde zu legen. Die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin in den Jahren 2015/16 sei unmaßgeblich. Die gegen dieses Urteil (nur) von der Beklagten mit dem Ziel einer vollständigen Klageabweisung eingelegte Berufung ist vor dem Landessozialgericht erfolglos geblieben.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 151 Absatz 4 und Absatz 5 Satz 1 SGB III. Nach der Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck der Regelungen sei für die Berechnung nach § 151 Absatz 5 Satz 1 SGB III auf die Arbeitszeit im Vorbezugsbemessungszeitraum (hier Vollzeit - 40 Wochenstunden) und nicht auf die Arbeitszeit im Regelbemessungszeitraum (Teilzeit - 20 Stunden) abzustellen.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Schleswig, S 30 AL 70/18, 08.04.2021
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht , L 3 AL 13/21, 18.11.2022
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Terminbericht
Die Revision der Beklagten war nur teilweise begründet. Der Klägerin stand im streitbefangenen Zeitraum ein höherer Anspruch auf Arbeitslosengeld zu, als die Beklagte ihren Bescheiden zugrunde gelegt hat, allerdings in geringerer Höhe als von Sozialgericht und Landessozialgericht angenommen.
Das Arbeitslosengeld der Klägerin war wegen der Einschränkung ihres Leistungsvermögens im streitbefangenen Zeitraum vom 30. Mai bis 25. September 2018 nicht nach einem täglichen Bemessungsentgelt in Höhe von 18,78 Euro, wie es die Beklagte verfügt hat, zu bemessen, und auch nicht in Höhe von 37,56 Euro, wie es die Vorinstanzen angenommen haben. Es ist vielmehr von einem täglichen Bemessungsentgelt in Höhe von 32,99 Euro auszugehen. Daraus ergibt sich ein täglicher Leistungssatz in Höhe von 17,46 Euro.
Bei einer Einschränkung der möglichen Wochenarbeitszeit ist das Bemessungsentgelt ausgehend vom Entgelt im Regelbemessungszeitraum zunächst nach den Vorgaben des § 151 Absatz 5 Satz 1 SGB III zu bilden. Dies gilt auch, wenn - wie hier - das bisherige Bemessungsentgelt vor der Einschränkung der Verfügbarkeit in Anwendung von § 151 Absatz 4 SGB III aus einem früheren Leistungsbezug resultiert. Es ist also das Bemessungsentgelt zu ermitteln, das dem Verhältnis der in diesem Zeitraum geleisteten Wochenarbeitszeit - hier also 20 Stunden - zur neuen, eingeschränkten möglichen Wochenarbeitszeit (hier 15 Stunden) entspricht. Erst in einem zweiten Schritt ist das Bemessungsentgelt in Anwendung von § 151 Absatz 4 SGB III unter Berücksichtigung der früheren Wochenarbeitszeit von 40 Stunden entsprechend der neuen, eingeschränkten möglichen Wochenarbeitszeit zu ermitteln, wie es die Beklagte getan hat. Nur wenn dieses höher ist, ist es in Anwendung von § 151 Absatz 4 SGB III der Leistungsbemessung zugrunde zu legen. Ist es - wie hier - niedriger, kommt § 151 Absatz 4 SGB III nicht (mehr) zur Anwendung. Allein das Bemessungsentgelt aus dem Regelbemessungszeitraum bestimmt dann unter verhältnismäßiger Berücksichtigung der Einschränkung der Verfügbarkeit die Höhe des Arbeitslosengelds.
Diese Auslegung folgt aus der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck von § 151 Absatz 5 Satz 1 SGB III einerseits und § 151 Absatz 4 SGB III andererseits. Sie fügt sich zudem in die Regelungssystematik der Bemessungsvorschriften ein. Allein § 151 Absatz 5 Satz 1 SGB III enthält eine eigenständige Berechnungsgrundlage für das Bemessungsentgelt. Demgegenüber bestimmt § 151 Absatz 4 SGB III nur, dass von zwei nach den allgemeinen Regeln des Bemessungsrechts errechneten Bemessungsentgelten dasjenige aus einem früheren Zeitraum maßgebend ist, wenn es das eigentlich maßgebliche übersteigt. Die Regelung enthält also keine eigene Berechnungsgrundlage, sondern seine Anwendung setzt die Berechnung des Bemessungsentgelts nach den anwendbaren Bestimmungen voraus.
Vorliegend ergibt sich für den Regelbemessungszeitraum ein tägliches Bemessungsentgelt von 32,99 Euro (43,99 Euro : 20 Stunden x 15 Stunden), für den früheren Bemessungszeitraum ein tägliches Bemessungsentgelt von 18,78 Euro (50,08 Euro : 40 Stunden x 15 Stunden), also kein höheres Bemessungsentgelt.
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