Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 1/22 R

Unfallversicherung - Verletztenrente - Beginn - Verjährung - Posttraumatische Belastungsstörung

Verhandlungstermin 26.09.2024 12:00 Uhr

Terminvorschau

S. S. ./. Unfallkasse Baden-Württemberg
Der als Krankenpfleger beschäftigte Kläger verunglückte am 16. Mai 2004 als Fahrer eines Pkw auf dem Weg zu einem Notfalleinsatz. Einer von zwei mitfahrenden Notärzten erlag später seinen Verletzungen. Der selbst nur leicht verletzte Kläger hatte gesehen, dass dieser mit dem Kopf unter Wasser lag, ihn aus dem Fahrzeug geholt und eine Reanimation versucht. Im Juli 2004 begab er sich in psychotherapeutische Behandlung. Im Jahr 2005 berichteten die behandelnden Ärzte über eine behandelte Posttraumatische Belastungsstörung wegen des Unfalls. Die beklagte Unfallkasse bat um Mitteilung für den Fall des Wiederauflebens.

Nach Kontaktaufnahme des Klägers im Mai 2008 bewilligte die Beklagte nach und nach insgesamt 75 Sitzungen Psychotherapie. Die behandelnde Psychotherapeutin beschrieb in ihrem Abschlussbericht im Mai 2010 den Zustand nach Posttraumatischer Belastungsstörung als “vollständig remittiert“ und verneinte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Ab Februar 2014 nahm der Kläger weitere psychotherapeutische Behandlungen auf, von denen die Beklagte im Juni 2015 durch Übersendung der Abrechnungen Kenntnis erlangte. Die Beklagte gewährte daraufhin unter Anerkennung von Unfallfolgen Verletztenrente auf unbestimmte Zeit ab 14. Februar 2014 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vom Hundert. Einen früheren Rentenbeginn lehnte sie mangels entsprechender Berichte über psychotherapeutische Behandlungen ab. Ansprüche auf Geldleistungen vor dem 1. Januar 2011 seien verjährt, was in Ausübung des eingeräumten Ermessens geltend gemacht werde. Klage und Berufung waren erfolglos.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. §§ 39, 40, 45 SGB I, § 19 Satz 2 SGB IV in Verbindung mit § 20 Absatz 1 SGB X; § 242 BGB. Eine Verjährung könne frühestens ab dem Zeitpunkt beginnen, zu dem der Anspruch behördlich festgestellt sei. Die Verjährungseinrede sei zudem verspätet im Widerspruchsbescheid und rechtsmissbräuchlich sowie ermessensfehlerhaft erhoben. Durch einen Antrag des Klägers habe der Lauf der Verjährung nicht gehemmt werden können, da diese Möglichkeit bei antragsunabhängigen Leistungen nicht bestünde. Im Rahmen der Ermessensausübung sei dies dem Kläger rechtswidrig vorgehalten und im Übrigen die lange Zeitdauer von 13 Jahren nicht berücksichtigt worden.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Speyer, S 20 U 129/18, 05.10.2020
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 3 U 225/20, 15.06.2021

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 36/24.

Terminbericht

Die Revision des Klägers war erfolglos. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente. Die beklagte Unfallkasse ist nach Erhebung der Verjährungseinrede im Jahr 2018 berechtigt, die Leistung zu verweigern.

Die Verjährungsfrist begann jeweils ohne bescheidmäßige Feststellung mit der Entstehung der Rentenansprüche zum Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres zu laufen. Die Verjährung trat für die hier noch streitbefangenen Ansprüche spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2014 ein. Tatbestände, die den Lauf der vierjährigen Verjährungsfrist bei der gebotenen sinngemäßen Anwendung des Bürgerlichen Rechts gehemmt haben könnten, liegen nicht vor. Möglicherweise schwebende Verhandlungen waren spätestens mit der Vorlage des Abschlussberichts über die zuvor stattgehabte psychotherapeutische Behandlung im Mai 2010 eingeschlafen. Eine Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung trat allein durch die Anhängigkeit eines Verwaltungsverfahrens noch nicht ein. Hieran ändert sich nichts durch die im Unfallversicherungsrecht geltende Leistungserbringung von Amts wegen, die vorrangig der Beweissicherung in einem von Kausalzusammenhängen geprägten Rechtsgebiet dient, ohne daneben einen Antrag des Versicherten auszuschließen. Einen Antrag, der für den beabsichtigten Fall der Hemmung stets schriftlich erfolgen muss, hat der Kläger nicht gestellt.

Die Beklagte hat die Verjährungseinrede weder rechtsmissbräuchlich noch sonst ermessensfehlerhaft ausgeübt. Weder kann der Beklagten ein hierfür erforderliches qualifiziertes Fehlverhalten vorgehalten noch ein Heranziehungsdefizit zur Last gelegt werden. Die fehlende Verbescheidung über einen langen Zeitraum hat den Kläger auch nicht von der Wahrnehmung seiner Interessen abgehalten.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 36/24.

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