Verhandlung B 12 BA 3/23 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - Lehrkraft - Volkshochschule - Statusbeurteilung - abhängige Beschäftigung - selbstständige Tätigkeit - Abgrenzung
Verhandlungstermin
05.11.2024 15:15 Uhr
Terminvorschau
V. G. O. gGmbH ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
beigeladen: I. T.
Die klagende Volkshochschule bietet unter anderem Kurse zur Vorbereitung auf die Erlangung eines Realschulabschlusses auf dem zweiten Bildungsweg an und schließt mit den Kursteilnehmern entsprechende Lehrgangsverträge. Der beigeladene Student vereinbarte mit ihr die Erteilung von Unterricht vom 7. August 2017 bis 22. Juni 2018 insbesondere im Rahmen solcher Kurse in den prüfungsrelevanten Fächern Politik und Wirtschaft. Für die folgenden Jahre wurden entsprechende Vereinbarungen abgeschlossen. Zum 31. Juli 2021 beendete der Beigeladene die Tätigkeit als Honorardozent. Er wurde ab September 2021 von der Klägerin in ein Angestelltenverhältnis übernommen.
Nach den in die Honorarvereinbarungen einbezogenen Allgemeinen Vertragsbedingungen der Klägerin liegen die methodisch-didaktische Durchführung des Lehrauftrags und der Inhalt im Einzelnen bei dem Dozenten. Ein Weisungsrecht der Klägerin wird ausgeschlossen. Den Unterricht gestaltete der Beigeladene selbstständig. Die Klägerin stellte die Unterrichtsräume zur Verfügung und stimmte die Unterrichtseinheiten zeitlich mit dem Beigeladenen und den anderen Dozenten ab. Die Vergütung wurde für tatsächlich geleistete Unterrichtsstunden nach Vorlage der Teilnehmerlisten oder für die Teilnahme an Kurskonferenzen von der Klägerin gezahlt. Der Beigeladene übermittelte, soweit möglich, eine Leistungseinschätzung für die einzelnen Schüler an die Fachbereichsleitung.
Die Beklagte stellte Versicherungspflicht des Beigeladenen in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund Beschäftigung bei der Klägerin als "Honorardozent (Politik/Wirtschaft)" beginnend ab 7. August 2017 fest. Das Sozialgericht hat die angefochtene Verwaltungsentscheidung aufgehoben. Der Beigeladene habe als Honorardozent eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Bei der statusrechtlichen Beurteilung von lehrenden Tätigkeiten würden sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterschiedliche Ansätze zeigen. Anknüpfend an das gesetzgeberische "Anerkenntnis" der selbstständigen Ausübung von Lehrtätigkeiten in § 2 Satz 1 Nummer 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch würden nach hergebrachter Rechtsprechung (vergleiche Bundessozialgericht Urteil vom 12. Februar 2004 - B12 KR 26/02 R - juris und Urteil vom 14. März 2018 - B 12 R 3/17 R - BSGE 125, 177) relativ strenge Anforderungen an die Annahme einer abhängigen Beschäftigung aufgestellt, sofern sich die Beteiligten auf eine selbstständige Tätigkeit geeinigt hätten. Demgegenüber komme dem Parteiwillen außerhalb von lehrenden Tätigkeiten ein deutlich geringeres Gewicht zu. Bei der statusrechtlichen Beurteilung einer Musikschullehrerin (Urteil vom 28.6.2022 - B 12 R 3/20 R - SozR 4-2400 § 7 Nummer 65) habe das Bundessozialgericht nicht die Sonderrechtsprechung für lehrende Tätigkeiten herangezogen, sondern sich maßgeblich an den allgemeinen Abgrenzungskriterien ausgerichtet. Damit werde im Ergebnis ein anderes Regel-Ausnahme-Verhältnis postuliert. Für den streitgegenständlichen Zeitraum sei noch die frühere, in Jahrzehnten herausgebildete und gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu lehrenden Tätigkeiten heranzuziehen, die ein schutzwürdiges Vertrauen in ihren Fortbestand bewirkt habe.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 7 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch und Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz. Auch wenn nur Rahmenvorgaben vereinbart würden, spreche dies erst dann für Selbstständigkeit, wenn dem Beigeladenen eigenes unternehmerisches Handeln mit entsprechenden Chancen und Risiken möglich sei. Daran fehle es hier. Vertrauensschutz aufgrund einer vermeintlichen Rechtsprechungsänderung stehe der Klägerin nicht zu. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 2022 halte sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung. Ein schützenswertes Vertrauen der Klägerin habe nicht entstehen können.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Hildesheim, S 4 BA 11/19, 31.08.2020
Landessozialgericht Niedersachen-Bremen, L 2 BA 47/20, 20.12.2022
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Terminbericht
Die Revision der Beklagten ist erfolgreich gewesen. Der beigeladene Dozent unterlag trotz der vereinbarten freien Mitarbeit aufgrund Beschäftigung vom 7. August 2017 bis 22. Juni 2018 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die von fremdbestimmten Abläufen geprägte Lehrtätigkeit hatte sich in ein von der Volkshochschule verantwortetes Konzept zur Erlangung des Realschulabschlusses auf dem zweiten Bildungsweg ohne wesentliche unternehmerische Freiheiten eingefügt. Hinsichtlich des anschließenden Zeitraums führte die Revision mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen zur Zurückverweisung.
Die Klägerin kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Es besteht keine frühere gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit - insbesondere als Dozent an einer Volkshochschule - bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre. Einem Vertrauensschutz steht schon der Einzelfallcharakter von Statusentscheidungen entgegen. Die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit wird nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder vorgenommen. Insbesondere die einen unternehmerischen Spielraum kennzeichnenden Merkmale lassen sich grundsätzlich nicht unabhängig vom Einzelfall und von den Entwicklungen des Arbeitsmarktes festschreiben. Ein Vertrauensschutz ergibt sich auch nicht aus dem Indiz des Parteiwillens. Der Senat hat dazu auch schon früher darauf hingewiesen, dass der Schutzzweck der Sozialversicherung es ausschließt, über die rechtliche Einordnung allein nach
dem Willen der Vertragsparteien zu entscheiden. Soweit sich in jüngeren Senatsentscheidungen teilweise unterschiedliche Betrachtungsweisen und Bewertungen als in früherer Rechtsprechung - etwa zur Bedeutung äußerer Rahmenbedingungen - finden, handelt es sich jedenfalls nicht um eine grundlegende Neuorientierung, sondern um eine dynamische Fortentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Typusbegriff der Beschäftigung.
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