Verhandlung B 2 U 11/22 R
Unfallversicherung - Verletztenrente - Aufrechnung - Beitragsforderungen des Unfallversicherungsträgers - Insolvenzverfahren
Verhandlungstermin
03.12.2024 12:00 Uhr
Terminvorschau
D. S. ./. Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft
Der Kläger war Anfang der neunzehnhundertneunziger Jahre Inhaber einer Baufirma, deren zuständiger Unfallversicherungsträger die Rechtsvorgängerin der Beklagten war. Für die Jahre 1992 und 1993 erhob diese Beiträge, die der Kläger nicht beglich. Der Kläger bezieht wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls seit 1999 von der Beklagten eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 von Hundert.
Das am 1. Dezember 2010 eröffnete Regelinsolvenzverfahren über das Privatvermögen des Klägers führte nur zu einer geringfügigen Befriedigung der Beitragsforderungen. Das Amtsgericht erteilte dem Kläger am 26. Januar 2017 die Restschuldbefreiung. Im Anschluss erklärte die Beklagte die Aufrechnung der nicht beglichenen Beitragsforderungen mit dem hälftigen – unpfändbaren - Anspruch auf Verletztenrente (Bescheid vom 4. April 2017, Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2017).
Das Sozialgericht hat der dagegen gerichteten Klage stattgegeben, das Landessozialgericht die Klage auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Sozialversicherungsträger seien befugt, mit Beitragsansprüchen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufzurechnen. Da der unpfändbare Teil einer Rente nicht zur Insolvenzmasse gehöre und die Tilgung der Beitragsforderung nicht aus der Insolvenzmasse erfolge, stehe dem Gläubiger - hier der Beklagten - auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung die Aufrechnungsmöglichkeit in den unpfändbaren Teil der Leistung zu.
Mit der Revision rügt der Kläger unter anderem die Verletzung der §§ 1, 286 und 301 InsO sowie der §§ 387, 390 BGB. Die Restschuldbefreiung wirke gegen alle Gläubiger. Die Privilegierung der Sozialversicherungsträger ende spätestens mit Erteilung der Restschuldbefreiung.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Frankfurt (Oder), S 18 U 10/18, 09.01.2019
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 21 U 15/19, 12.05.2022
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Terminbericht
Die Revision des Klägers war erfolgreich. Das im Berufungsverfahren ergangene Urteil war aufzuheben und die erstinstanzliche Entscheidung wieder herzustellen. Der Beklagten steht nach Erteilung der Restschuldbefreiung keine Aufrechnungsbefugnis in Höhe des hälftigen Anspruches auf Verletztenrente gegen den Kläger zu. Die Voraussetzungen einer Aufrechnung lagen nach Erteilung der Restschuldbefreiung mangels Aufrechnungslage nicht mehr vor. Die Beitragsforderung der Beklagten ist mit Erteilung der Restschuldbefreiung zu einer unvollkommenen, rechtlich nicht durchsetzbaren Forderung geworden (§ 301 Absatz 1 InsO). Daran ändert sich nichts dadurch, dass das bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung durch das Insolvenzverfahren grundsätzlich unberührt bleibt (§ 94 InsO). Denn jedenfalls mit Erteilung der Restschuldbefreiung endet die Aufrechnungslage.
Dem Ergebnis steht die in § 51 Absatz 2 SGB I enthaltene Privilegierung des Unfallversicherungsträgers nicht entgegen, anders als andere Insolvenzgläubiger auf den unpfändbaren Teil der Verletztenrente zugreifen zu dürfen. Der insoweit privilegierte Zugriff auf die Rentenansprüche ändert nichts an der fehlenden Durchsetzbarkeit der Beitragsansprüche mit Erteilung der Restschuldbefreiung. Die in § 301 Absatz 2 Satz 1 InsO geregelten Ausnahmen von der Restschuldbefreiung erfassen die Aufrechnungsbefugnis nicht.
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