Verhandlung B 3 KR 3/23 R
Krankenversicherung - Krankengeld - Höhe - Berechnung - Entgeldumwandlung - betriebliche Altersversorgung
Verhandlungstermin
12.12.2024 10:00 Uhr
Terminvorschau
R. H. ./. Kaufmännische Krankenkasse - KKH
Im Streit steht höheres Krankengeld.
Die Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit ab 29. April 2016 bezog sie vom 10. Juni 2016 bis 27. März 2017 und vom 19. April bis 18. Juli 2017, unterbrochen durch den Bezug von Übergangsgeld von der Rentenversicherung, Krankengeld von der Beklagten. Diese bewilligte ihr durch Bescheid vom 10. Juni 2016 Krankengeld ab diesem Tag in Höhe von kalendertäglich 49,47 Euro (Auszahlungsbetrag 43,30 Euro). Durch Bescheid vom 29. Juni 2016 bewilligte die Beklagte der Klägerin Krankengeld ab 10. Juni 2016 in Höhe von kalendertäglich 47,71 Euro (Auszahlungsbetrag 41,97 Euro). Den auf höheres Krankengeld als durch diese Bescheide bewilligt gerichteten Widerspruch wies die Beklagte zurück.
Im Klageverfahren ergingen weitere Bescheide: Durch Bescheid vom 13. Januar 2017 bewilligte die Beklagte der Klägerin Krankengeld ab 1. Januar 2017 in Höhe von kalendertäglich 47,71 Euro (Auszahlungsbetrag 41,92 Euro) und durch Bescheid vom 25. April 2017 ab 19. April 2017 in Höhe von kalendertäglich 49,13 Euro (Auszahlungsbetrag 43,17 Euro). Das Sozialgericht hat die Klage auf höheres Krankengeld abgewiesen. Zutreffend habe die Beklagte für die Berechnung der Krankengeldhöhe die Entgeltumwandlung im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung nicht nur beim Regelentgelt, sondern auch beim Nettoarbeitsentgelt abgezogen, und die erst im April 2016 an die Klägerin geleistete Einmalzahlung ebenso nicht berücksichtigt wie die ihr nur von Oktober 2015 bis Januar 2016 gezahlte Mehrarbeitsvergütung. Das Landessozialgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids wegen einer Verletzung von § 45 SGB X aufgehoben; unabhängig davon, ob der Bescheid vom 10. Juni 2016 rechtswidrig gewesen sei, sei der Aufhebungsbescheid vom 29. Juni 2016 schon mangels Ermessensausübung aufzuheben. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Ein Anspruch auf höheres Krankengeld als ihr durch Bescheid vom 10. Juni 2016 in Höhe von kalendertäglich 49,47 Euro bewilligt, dynamisiert durch Bescheid vom 25. April 2017, bestehe nicht.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin im Schwerpunkt eine Verletzung von § 47 Absatz 1 Satz 2 SGB V und macht insoweit geltend, sie habe deshalb einen Anspruch auf höheres Krankengeld, weil die Entgeltumwandlung nicht auch beim Nettoarbeitsentgelt habe berücksichtigt werden dürfen.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Lübeck, S 3 KR 785/16, 21.02.2019
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, L 5 KR 57/19, 19.01.2022
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Terminbericht
Die Revision war im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht erfolgreich.
Zu Recht hat das Berufungsgericht der Berechnung der Höhe des Krankengeldanspruchs zugrunde gelegt, dass die beitragsfreie Entgeltumwandlung der Klägerin im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung nicht nur beim von der Beklagten zutreffend - auf der Grundlage des letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Kalendermonats März 2016 - berechneten Regelentgelt, sondern auch beim Nettoarbeitsentgelt abzuziehen ist. Grundlage des Nettoarbeitsentgelts ist das Regelentgelt. Nach § 47 Absatz 1 Satz 2 SGB V erfolgt die Berechnung des Nettoarbeitsentgelts “bei entsprechender Anwendung des Absatzes 2“, der die Berechnung des Regelentgelts näher bestimmt. Danach ist für das Regelentgelt und das Nettoarbeitsentgelt von dem gleichen Entgeltbegriff auszugehen. Von diesem Grundsatz ist bei der hier streitigen krankengeldrechtlichen Berücksichtigung der Entgeltumwandlung mangels normativer Grundlage nicht abzuweichen. Dass die sozialversicherungsrechtliche Privilegierung der beitragsfreien Entgeltumwandlung zu einem niedrigeren krankengeldrechtlichen Nettoarbeitsentgelt und damit zu einem niedrigeren Krankengeld führt, ist auch mit Blick auf dessen Kernfunktion als Entgeltersatzleistung zur Lebensunterhaltssicherung nicht zu beanstanden.
Zutreffend hat das Landessozialgericht zudem nicht die der Klägerin erst im April 2016 gezahlte Einmalleistung berücksichtigt, weil diese nicht in den letzten zwölf Monaten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit im April 2016 der Beitragsberechnung zugrunde gelegen hat (§ 47 Absatz 2 Satz 6 SGB V), und ebenso nicht die ihr von Oktober 2015 bis Januar 2016 gezahlte Mehrarbeitsvergütung, weil ihr diese nicht regelmäßig im Sinne von § 47 Absatz 1 Satz 1 SGB V in den letzten drei Monaten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit im April 2016 geleistet worden ist.
Gleichwohl konnte der Senat nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil das Landessozialgericht keine Feststellungen zur Höhe der Abzüge von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen vom Bruttoarbeitsentgelt der Klägerin getroffen hat. Für deren Höhe kann auch nicht auf die Angaben des Arbeitgebers zurückgegriffen werden, weil sich dessen Nettoangaben in der Gehaltsabrechnung gegenüber der Klägerin und der Entgeltbescheinigung gegenüber der Beklagten unterscheiden und zu einem unterschiedlichen krankengeldrechtlichen Nettoarbeitsentgelt führen, das entweder zu einem jeweils geringfügig niedrigeren oder höheren Krankengeldanspruch als durch den Bescheid vom 10. Juni 2016 bewilligt führt. Auf welche dieser Angaben für die Krankengeldberechnung aus welchen Gründen abzustellen ist, lässt sich weder dem Berufungsurteil noch den Bescheiden der Beklagten entnehmen. Inwieweit sich weitere Fehler der Beklagten bei der Berechnung des Krankengeldanspruchs (rechnerische Berücksichtigung der Einmalzahlung aus April 2015 beim Nettoarbeitsentgelt, Berechnungsgrundlage für Dynamisierung ab April 2017) und von dessen Auszahlungsbetrag (Berechnungsgrundlage für Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen) auswirken, hängt auch von dem zugrunde zu legenden Nettoarbeitsentgelt ab, das die Klägerin von ihrem Arbeitgeber erzielt hat.
Ihre Bescheide vom 13. Januar und 25. April 2017 hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung aufgehoben.
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