Verhandlung B 3 KR 4/23 R
Krankenversicherung - Krankengeld - Ausschluss - Erwerbsminderungsrente - Invalidenrente - Beitrittsgebiet
Verhandlungstermin
12.12.2024 11:00 Uhr
Terminvorschau
U. A. ./. Kaufmännische Krankenkasse - KKH
Im Streit steht der Ausschluss vom Krankengeld.
Der 1957 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er bezog seit 1979 in der Deutschen Demokratischen Republik eine Invalidenrente wegen Blindheit/Sehbehinderung. Diese wurde nach der Wiedervereinigung zunächst 1992 in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Vollrente) umgewertet und 1995 in eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (Teilrente) wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze durch den erwerbstätigen Kläger. Eine erneute Umwertung erfolgte zum 1. Juli 2017 auf der Grundlage des Flexirentengesetzes, nach dem die dem weiterhin erwerbstätigen Kläger geleistete Rente als Rente wegen voller Erwerbsminderung (Vollrente) gilt, ohne dass für diese ein Hinzuverdienst berücksichtigt wird.
Aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit ab 20. November 2018 bewilligte die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 11. Januar 2019 Krankengeld ab 3. Januar 2019 für die ärztlich voraussichtlich festgestellte Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit und zahlte dieses für den Arbeitsunfähigkeitszeitraum bis 17. Januar 2019 aus. Nachdem die Beklagte vom Rentenbezug des Klägers Kenntnis erlangt hatte, stellte sie durch Bescheid vom 30. Januar 2019 fest, dass der Kläger ab Beginn seiner Rente wegen voller Erwerbsminderung am 1. Juli 2017 keinen Anspruch auf Krankengeld habe. Weitere Zahlungen erfolgten bis zum Ende der Arbeitsunfähigkeit am 31. März 2019 nicht. Den Antrag des Klägers auf Krankengeld für eine Arbeitsunfähigkeit ab 11. Juni 2019 lehnte die Beklagte wegen des Bezugs der Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Verweis auf § 50 SGB V ab. Die Widersprüche des Klägers, mit denen er auf die Besonderheiten seiner Rente wegen voller Erwerbsminderung verwies, die zur ausnahmsweisen Nichtanwendung dieser Ausschlussregelung führten, wies die Beklagte zurück.
Im Klageverfahren hat die Beklagte erklärt, auf eine Rückforderung des bereits ausgezahlten Krankengelds zu verzichten. Das Sozialgericht hat die Klage auf Krankengeld abgewiesen, das Landessozialgericht die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger sei nach § 50 Absatz 1 Satz 1 SGB V vom Anspruch auf Krankengeld wegen des Bezugs einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen. Dieser komme als Vollrente eine Entgeltersatzfunktion zu, neben der kein Anspruch auf Krankengeld als weiterer Entgeltersatzleistung bestehe.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger der Sache nach eine Verletzung von § 50 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB V und verweist auf den Unterschied seiner umgewerteten DDR-Invalidenrente, die nur als eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gelte und ohne Hinzuverdienstgrenze neben einer Erwerbstätigkeit geleistet werde, zu einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Seine Rente dürfe deshalb nicht im Krankengeldrecht als eine solche Rente angesehen werden.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Chemnitz, S 11 KR 667/19, 14.04.2020
Sächsisches Landessozialgericht, L 9 KR 272/20, 15.11.2022
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 44/24.
Terminbericht
Die Revision war erfolglos. Aufgrund des Bezugs einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ist der Kläger vom Anspruch auf Krankengeld ausgeschlossen.
Sowohl die Ablehnung eines Krankengeldanspruchs für den Folge-Arbeitsunfähigkeitszeitraum ab 18. Januar 2019 als auch für die neue Arbeitsunfähigkeit ab 11. Juni 2019 finden ihre Grundlage in § 50 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB V, wonach für Versicherte, die Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, nach deren Beginn ein neuer Krankengeldanspruch nicht entsteht. Diese Ausschlussregelung vom Krankengeld ist auf die vom Kläger bezogene Rente anzuwenden, die nach ihrer letzten Umwertung zum 1. Juli 2017 als Rente wegen voller Erwerbsminderung gilt. Diese erneute Umwertung auf der Grundlage des Flexirentengesetzes (§ 302a Absatz 1 SGB VI) hat zwar zur Vermeidung einer Verschlechterung der Rechtsposition der Versicherten im Rentenrecht zur Anerkennung von Besonderheiten dieser Rente geführt, indem für diese keine Hinzuverdienstgrenze gilt (§ 313 Absatz 6 SGB VI), nicht jedoch im Krankenversicherungsrecht, in dem die Ausschlussregelung des § 50 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB V unverändert geblieben ist.
Zwar ist bei dem Kläger eine volle Erwerbsminderung nicht festgestellt worden und war er vielmehr erwerbstätig, gleichwohl bezieht er aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach den erfolgten Umwertungen seiner DDR-Invalidenrente statt der zuletzt bezogenen Rente wegen Berufsunfähigkeit als Teilrente seit 1. Juli 2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung als Vollrente. Dass diese im Rentenrecht nur als eine solche “gilt“, führt im Krankengeldrecht nicht zur Unanwendbarkeit der Ausschlussregelung des § 50 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB V, die zwischen dem Bezug von Renten wegen voller Erwerbsminderung und von Renten, die als eine solche gelten, nicht unterscheidet.
Dass der Bezug aller Renten wegen voller Erwerbsminderung den Anspruch auf Krankengeld ausschließt, entspricht den mit dieser Ausschlussregelung verfolgten Zwecken, eine Doppelversorgung mit Entgeltersatzleistungen öffentlicher Träger zu vermeiden, denen dieselbe Entgeltersatzfunktion zukommt, und die Risiken zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung voneinander abzugrenzen und zu verteilen. Der Kläger kann danach zwar neben seiner Rente wegen voller Erwerbsminderung unbegrenzt aus einer Erwerbstätigkeit hinzuverdienen, hat aber bei Arbeitsunfähigkeit neben seiner als Vollrente geleisteten Rente keinen Krankengeldanspruch; das Krankengeld kann nicht “hinzuverdient“ werden. Die Regelungen zum Hinzuverdienst betreffen das geschlossene System der Rentengewährung nach dem SGB VI, nicht aber das Krankengeld nach dem SGB V.
Dem steht Verfassungsrecht nicht entgegen. Verfassungsrechtlich ist der Ausschluss vom Krankengeld als Entgeltersatzleistung neben dem Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung als Entgeltersatzleistung zur Vermeidung einer Doppelversorgung mit Leistungen gleicher Zweckbestimmung nach der Rechtsprechung des Senats nicht zu beanstanden. Anderes folgt hier nicht aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 GG. Die Abgrenzungsregelung des § 50 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB V zwischen Krankenversicherung und Rentenversicherung knüpft nicht benachteiligend an eine Behinderung an, sondern an das Zusammentreffen von Leistungen im gegliederten Sozialleistungssystem. Auch verliert die Typisierung dieser Regelung ihre grundsätzliche verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht dadurch, dass sie nicht jeden Einzelfall von Menschen mit Behinderungen abzubilden vermag - hier den des erwerbstätigen und nur arbeitsunfähigen Klägers, der trotz des Bezugs seiner umgewerteten Rente wegen voller Erwerbsminderung als Entgeltersatzleistung nicht aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 44/24.