Verhandlung B 12 R 8/22 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - Versicherungspflicht - Versicherungsfreiheit - Syndikusrechtsanwalt - rückwirkende Befreiung - Antrag
Verhandlungstermin
12.12.2024 12:15 Uhr
Terminvorschau
RA M. S. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
2 Beigeladene
In den Verfahren B 12 R 8/22 R, B 12 R 7/22 R, B 12 R 9/22 R und B 12 R 10/22 R begehren die Kläger jeweils die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als Syndikusrechtsanwältin oder Syndikusrechtsanwalt nach § 231 Absatz 4b SGB VI für die Beschäftigung bei der jeweils beigeladenen Arbeitgeberin in unterschiedlichen Zeiträumen zwischen Oktober 2011 bis März 2016. Die jeweils beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund lehnte Anträge auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach dem bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Recht ab. Während der hiergegen anhängigen Klageverfahren wurden die Kläger auf deren Antrag für die jeweilige Beschäftigung unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung als Syndikusrechtsanwältin oder Syndikusrechtsanwalt zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Die Beklagte befreite sie auf deren (vorsorglich) gestellte Anträge nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB VI aufgrund dieser Zulassung. Eine rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Absatz 4b SGB VI lehnte sie ab. Diese bedürfe eines separaten Antrags, der nicht innerhalb der Frist bis zum 1. April 2016 gestellt worden sei.
Klagen und Berufungen sind erfolglos geblieben. Nach Auffassung der Vorinstanzen sind die streitgegenständlichen Bescheide nicht Gegenstand der anhängigen Befreiungsverfahren geworden. § 231 Absatz 4b SGB VI fordere für die rückwirkende Befreiung eine separate Antragstellung. Fristwahrend seien weder der Eingang eines solchen Antrags bei Gericht noch seien anderweitig gestellte Anträge ausreichend. Eine Heilung des Fristversäumnisses komme nicht in Betracht.
Mit ihren Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung der §§ 6, 231 Absatz 4b SGB VI, § 96 SGG sowie der Artikel 12 und 14 GG. Ein separater Antrag auf rückwirkende Befreiung sei nicht erforderlich, wenn der Beklagten das Befreiungsbegehren bereits bekannt sei. Jedenfalls erfordere die rückwirkende Befreiung dann keinen eigenständigen Befreiungsantrag, wenn bei der Zulassung nach dem neuen Berufsrecht ein offenes Befreiungsverfahren nach § 6 Absatz 1 Satz 1 SGB VI für die gleiche Tätigkeit noch nach alter Rechtslage bei Gericht anhängig gewesen sei. § 231 Absatz 4b SGB VI sei teleologisch zu reduzieren, um eine geschlossene Versorgungsbiographie zu ermöglichen.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Dortmund, S 24 R 684/18, 15.10.2020
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 4 R 1010/20, 14.01.2022
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Terminbericht
Die Revision des Klägers ist nicht erfolgreich gewesen. Die Beklagte hat den Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 231 Absatz 4b SGB VI zu Recht abgelehnt. Der streitgegenständliche Verwaltungsakt ist nicht bereits Gegenstand des vor dem Sozialgericht anhängigen, auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 SGB VI gerichteten Klageverfahrens geworden.
Das Verfahren der rückwirkenden Befreiung für eine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt ist vom Verfahren auf Befreiung von der Versicherungspflicht als Assessor (Syndikusanwalt) zu trennen. Dieser Beurteilung des 5. Senats schließt sich der erkennende Senat ausdrücklich an. Die rückwirkende Befreiung nach § 231 Absatz 4b SGB VI bedarf eines gesonderten Antrags. Dies gilt auch dann, wenn ein Verfahren auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 SGB VI zum Zeitpunkt der Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung zum 1. Januar 2016 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war. Das ergibt sich aus dem ausdrücklichen Wortlaut, der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck des § 231b Absatz 4 SGB VI und seiner systematischen Stellung.
Den hiernach erforderlichen Antrag hat der Kläger nicht fristgerecht bis zum 1. April 2016 gestellt. Ausreichend ist weder ein vormaliger Befreiungsantrag nach § 6 SGB VI noch der bei der Rechtsanwaltskammer gestellte Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt. Auch der vorsorglich vor Fristablauf beim Sozialgericht gestellte Antrag auf rückwirkende Befreiung nach § 231 Absatz 4b SGB VI wahrt die Frist nicht. Er ist bei der Beklagten als zuständige
(Leistungs-)Trägerin erst nach Fristablauf am 6. April 2016 eingegangen. Zu einer zur Entgegennahme von Anträgen berechtigten und verpflichteten Stelle im Sinne des § 16 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 SGB I zählt das Sozialgericht nicht. Der Kläger kann auch nicht auf andere Weise so gestellt werden, als sei der am 6. April 2016 bei der Beklagten eingegangene Antrag fristgerecht gestellt worden. Ungeachtet der Anwendbarkeit des Rechtsinstituts der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war weder vorgetragen noch erkennbar, dass der Kläger ohne Verschulden verhindert gewesen wäre, die Antragsfrist einzuhalten. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch scheitert bereits an einer kausalen Pflichtverletzung der Beklagten. Verfassungsrecht steht der separat erforderlichen, fristgebundenen Antragspflicht nicht entgegen. Diese knüpft an eine zulässige Stichtagsregelung an.
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