Verhandlung B 12 R 11/22 R
Versicherungs- und Beitragsrecht - Versicherungspflicht - Versicherungsfreiheit - Arbeitslosengeldbezug - vorgezogene Altersrente
Verhandlungstermin
12.12.2024 11:15 Uhr
Terminvorschau
Bundesagentur für Arbeit ./. Deutsche Rentenversicherung Nordbayern
34 Beigeladene
Die klagende Bundesagentur für Arbeit zahlte in den Jahren 2017 und 2018 an die beigeladenen Versicherten Arbeitslosengeld. Ihnen wurde auf Antrag rückwirkend vorgezogene Altersrenten bewilligt. Bis zur Bekanntgabe des jeweiligen Rentenbescheids an die Klägerin entrichtete diese auf das Arbeitslosengeld auch Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Ab Bekanntgabe des jeweiligen Rentenbescheids bis zum jeweils tatsächlichen Beginn der Rentenzahlung gewährte die Klägerin das Arbeitslosengeld weiter. Die Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge stellte sie jedoch ein. Die Klägerin machte hinsichtlich des bis zum tatsächlichen Beginn der Rentenzahlung geleisteten Arbeitslosengeldes einen Erstattungsanspruch gegen den zuständigen Rentenversicherungsträger geltend. Die bis zur Bekanntgabe des Rentenbescheids zunächst gezahlten Beiträge verrechnete sie automatisiert über das System COLIBRI beziehungsweise COLEI.
Der beklagte Rentenversicherungsträger stellte aufgrund einer Prüfung der Beitragszahlung gegenüber der Klägerin unter anderem fest, dass die Regelungen zur Verrechnung von Beiträgen nicht beachtet worden seien. Er forderte Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 24 745,63 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 2437,50 Euro nach.
Vor dem Sozialgericht ist die Klage hinsichtlich der bisher nicht gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 11 756,64 Euro zuzüglich 1185,50 Euro Säumniszuschlägen erfolgreich gewesen. Da der Anspruch auf Arbeitslosengeld während der Zeiten ruhe, für die eine vorgezogene Altersrente zuerkannt sei, sei der Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld und die Beitragspflicht zum Zeitpunkt der Altersrentengewährung entfallen. Hinsichtlich der bis zur Bekanntgabe des jeweiligen Rentenbescheids bereits gezahlten Beiträge in Höhe von 12 988,99 Euro zuzüglich 1252 Euro Säumniszuschlägen hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Klägerin und Beklagte haben Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht hat die Klage hinsichtlich der Beitragsforderung insgesamt abgewiesen und die Berufungen der Klägerin sowie der Beklagten im Übrigen zurückgewiesen. Nach der zum 1. Januar 2017 eingetretenen Rechtsänderung bestehe Rentenversicherungspflicht für den Bezug von Arbeitslosengeld bei vorgezogenen Altersrenten weiter. Die maßgeblichen Regelungen unterschieden nicht nach Zeiträumen vor oder nach der Rentenbewilligung. Für die Zeit ab der Bewilligung der Altersrente könnten jedoch keine Säumniszuschläge gefordert werden. Die Unkenntnis der Klägerin von der weiteren Zahlungspflicht sei unverschuldet gewesen.
Klägerin und Beklagte haben Revision eingelegt. Die Klägerin rügt eine Verletzung von § 5 Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 SGB VI (in der Fassung ab 1. Januar 2017), § 156 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 SGB III und § 24 Absatz 2 SGB IV. Durch die Änderung des § 5 Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 SGB VI ab dem 1. Januar 2017 sei die bis zum 31. Dezember 2016 geltende Versicherungsfreiheit für die Zeit ab Zuerkennung einer vorgezogenen Altersrente nicht entfallen. Der Gesetzgeber habe mit der Änderung flexibles Arbeiten bis zur Regelaltersgrenze fördern wollen. Es sei hingegen nicht bezweckt, den Rentenanspruch durch den Bezug einer Entgeltersatzleistung wie Arbeitslosengeld neben einer vorgezogenen Altersrente zu erhöhen. Die Beklagte rügt sinngemäß eine Verletzung von § 24 Absatz 2 SGB VI und trägt vor, der Klägerin sei auch hinsichtlich der bisher nicht gezahlten Beiträge eine schuldhafte Unkenntnis über die Zahlungspflicht vorzuwerfen.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Nürnberg, S 3 BA 118/20, 27.04.2021
Bayerisches Landessozialgericht, L 14 R 622/21, 10.11.2022
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Terminbericht
Der Senat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten ist dagegen erfolgreich gewesen. Die Beklagte war berechtigt, gegenüber der Klägerin durch Verwaltungsakt die Unrichtigkeit der Beitragszahlungen festzustellen, eine hieraus resultierende Beitragsnachforderung geltend zu machen und insoweit auch Säumniszuschläge festzusetzen.
Auf das den Beigeladenen gewährte Arbeitslosengeld waren Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten. Sie waren versicherungspflichtig nach § 3 Satz 1 Nummer 3 Halbsatz 1 SGB VI. Der Wortlaut des zum 1. Januar 2017 neu gefassten § 5 Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 SGB VI stellt eindeutig auf das Erreichen der Regelaltersgrenze als zusätzliche Voraussetzung für das Eintreten von Versicherungsfreiheit neben dem Rentenbezug ab. Weder aus der Systematik noch aus dem Sinn und Zweck der maßgebenden Regelungen ergibt sich zwingend, dass die in §§ 1 ff SGB VI bestimmten, nicht einer versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgehenden Personen weiterhin unabhängig vom Erreichen der Regelaltersgrenze versicherungsfrei bleiben sollten. Der Eintritt des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ließ die Beitragspflicht bei Fortbestand der Leistungsbewilligung und tatsächlichem Leistungsbezug nicht entfallen.
Der Klägerin stand wegen der bis zur Bekanntgabe der Rentenbescheide gezahlten Beiträge kein Erstattungsanspruch zu. § 335 Absatz 2 SGB III sieht im Falle einer rückwirkend gewährten Rente nur die Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung vor. Für eine entsprechende Anwendung auf Rentenversicherungsbeiträge ist kein Raum. Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 26 Absatz 2 SGB IV sind schon deshalb nicht gegeben, weil die Klägerin ihre Bescheide über die Bewilligung von Arbeitslosengeld nicht aufgehoben hat.
Die Beklagte hat auch rechtmäßig Säumniszuschläge festgesetzt. Eine unverschuldete Unkenntnis der Klägerin von der Beitragszahlungspflicht ist ausgehend von den Feststellungen des Landessozialgerichts nicht gegeben. Der Klägerin war die zum 1. Januar 2017 eingetretene Rechtsänderung bewusst. Dass sie trotz der Anknüpfung der Versicherungsfreiheit an das Erreichen der Regelaltersgrenze rechtsirrig von einer über den 31. Dezember 2016 hinaus bestehenden Versicherungsfreiheit ausgegangen ist, vermag die unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht nicht zu begründen.
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