Bundessozialgericht

Verhandlung B 7 AS 9/23 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Jahressonderzahlung - Einkommensteuernachforderungen

Verhandlungstermin 17.12.2024 10:00 Uhr

Terminvorschau

T. P. ./. Jobcenter Krefeld
Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes II (Alg II) für die Monate Dezember 2017 sowie Dezember 2018.

Die Klägerin bezog seit 2015 aufstockend Arbeitslosengeld II. Sie übte im streitbefangenen Zeitraum eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei einem öffentlichen Arbeitgeber in Teilzeit aus. Die Klägerin erhielt im November 2017 und im November 2018 neben der monatlichen Vergütung eine Jahressonderzahlung von ihrem Arbeitgeber. Das beklagte Jobcenter hob die Bewilligung der Leistungen unter anderem für den Monat Dezember 2017 teilweise auf und begehrte die Erstattung des überzahlten Betrags. Die im November 2017 zugeflossene Jahressonderzahlung sei neben dem laufenden Einkommen aus der Erwerbstätigkeit der Klägerin als einmalige Einnahme zu berücksichtigen und auf einen Zeitraum von sechs Monaten zu verteilen. Für den Monat Dezember 2018 bewilligte der Beklagte die Leistungen zunächst vorläufig und setzte sie im Verlauf des Klageverfahrens abschließend fest.

Mit Zahlungsfristen bis zum 27. Dezember 2017 und 19. November 2018 forderte das für die Klägerin zuständige Finanzamt für die Jahre 2016 und 2017 Einkommensteuernachzahlungen in Höhe von rund 350 beziehungsweise 310 Euro. Die Anträge der Klägerin auf "Übernahme" dieser Forderungen lehnte der Beklagte ab.

Das Sozialgericht hat den Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen verpflichtet, die Steuernachforderungen als weitere Absetzbeträge bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigen. Jene seien nach § 11b Absatz 1 Nummer 1 SGB II als auf das Einkommen entrichtete Steuern von den anzurechnenden Einnahmen der Klägerin abzusetzen. Zutreffend habe der Beklagte hingegen die Jahressonderzahlungen als Einkommen bei der Berechnung des Arbeitslosengeld II berücksichtigt.

Das Landessozialgericht hat die Entscheidung des Sozialgerichts aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Die von dem Beklagten vorgenommene Einkommensberücksichtigung sei zutreffend. Auch seien die Einkommensteuernachforderungen nicht von dem zu berücksichtigenden Einkommen der Klägerin in Abzug zu bringen. Es handele sich weder um eine Steuerschuld auf aktuelles Einkommen im Bewilligungszeitraum noch um solche im Sinne von § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 SGB II. Deshalb bestehe für Dezember 2018 auch kein über die bewilligten Leistungen hinausgehender Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld II.

Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin unter anderem eine Verletzung des § 11 SGB II in Verbindung mit § 11b Absatz 1 Nummer 1 und 5 SGB II sowie des § 41a Absatz 4 SGB II alte Fassung.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Düsseldorf, S 35 AS 1239/19, 09.12.2021
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 6 AS 947/22, 06.04.2023

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 46/24.

Terminbericht

Der Senat hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Er vermochte nicht abschließend über die Höhe des Arbeitslosengeldes II der Klägerin für die Monate Dezember 2017 und Dezember 2018 zu befinden. Es mangelt insbesondere an hinreichenden Feststellungen zur Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft. Zwar hat der Beklagte die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für den Monat Dezember 2017 mit § 48 SGB X auf eine unzutreffende Rechtsgrundlage gestützt. Wegen des prognostisch zum Zeitpunkt der Bewilligung nicht sicher feststellbaren Einkommens der Klägerin hätte der Beklagte eine vorläufige Entscheidung im Sinne des § 41a SGB II treffen müssen. Grundlage für die Aufhebungsentscheidung wäre alsdann wegen einer anfänglichen Rechtswidrigkeit § 45 SGB X gewesen. Allein dies führt jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Beklagten. Hier ist ein “Auswechseln“ der Rechtsgrundlagen durch das Gericht wegen desselben Ziels der Entscheidung grundsätzlich zulässig. Die Steuernachforderung ist - im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin - nicht als Mehrbedarf anzuerkennen. Sie ist auch nicht vom Einkommen abzusetzen. Denn bei dieser Forderung handelt es sich insoweit nicht um eine auf das Einkommen zu entrichtende Steuer im Sinne des § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB II. Die Vorschrift erfasst - jedenfalls bei Erwerbstätigkeit in abhängiger Beschäftigung - nur solche Steuern, die sich auf das im Bewilligungszeitraum erzielte Einkommen beziehen. Ebenso wenig handelt es sich bei der Steuernachforderung um eine mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgabe im Sinne des § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 SGB II. Neben dem laufenden monatlichen Erwerbseinkommen ist im Falle der Klägerin die im November 2017 zugeflossene Jahressonderzahlung wie eine einmalige Einnahme, verteilt auf 6 Kalendermonate, bedarfsmindernd zu berücksichtigen. Hiervon ist allerdings neben den vom Landessozialgericht berücksichtigten Absetzungen wegen Steuern und Versicherungsbeiträgen ein (zusätzlicher) Erwerbstätigenfreibetrag in Höhe von 200 Euro nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 in Verbindung mit Absatz 3 SGB II in Abzug zu bringen. Dass eine derartige kumulative Berücksichtigung bei dem Zusammentreffen von laufendem und einmaligen Einkommen zulässig ist, hat der Senat bereits bestätigt (Bundessozialgericht vom 18. Mai 2022 - B 7/14 AS 9/21 R).
Hieraus folgt ein niedrigeres zu berücksichtigendeS Einkommen als vom Landessozialgericht angenommen. Deshalb kann nicht offen bleiben, ob Aufwendungen der Klägerin für Unterkunft in tatsächlicher Höhe - wie vom Landessozialgericht angenommen - oder nur in angemessener Höhe - wovon der Beklagte ausgegangen ist - als Bedarf anzuerkennen sind. Bei einem insoweit geringeren Bedarf kann sich die Aufhebungsentscheidung des Beklagten trotz des geringeren zu berücksichtigenden Einkommens als rechtmäßig erweisen. Für den Monat Dezember 2018 gelten die vorhergehenden Ausführungen entsprechend.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 46/24.

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