Verhandlung B 7 AS 17/23 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Betriebsrente - COVID-19-Pandemie - Bedarfe
Verhandlungstermin
17.12.2024 11:30 Uhr
Terminvorschau
P. S. ./. Jobcenter Kreis Recklinghausen
Im Streit steht höheres Arbeitslosengeld II (Alg II). Der Kläger macht durch die COVID-19-Pandemie bedingte Bedarfe geltend. Ferner begehrt er Absetzungen von einer ihm gezahlten Betriebsrente vor deren Berücksichtigung bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II.
Der im Leistungsbezug nach dem SGB II stehende Kläger bezieht seit Juni 2020 eine monatliche Betriebsrente als Leistung der betrieblichen Altersversorgung in Höhe von rund 200 Euro. Auf seinen Weiterbewilligungsantrag berücksichtigte das beklagte Jobcenter diese - abzüglich der Versicherungspauschale - bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II für Dezember 2020 bis November 2021. In diesem Zeitraum machte der Kläger zudem Bedarfe für wöchentlich 20 FFP2-Masken sowie Selbsttests geltend. Der Beklagte verneinte den Anspruch insoweit. Für das erste Halbjahr 2021 erhielt der Kläger mit der Leistung für den Monat Mai 2021 eine gesetzlich vorgesehene einmalige finanzielle Unterstützung in Höhe von 150 EUR (“Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie“).
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mehrbedarfe wegen der Masken und Schnelltests hat es verneint. Die Unabweisbarkeit dieser Bedarfe habe der Kläger nicht dargelegt. Die Betriebsrente sei nicht anrechnungsfrei; ein Privilegierungstatbestand liege nicht vor. Eine analoge Anwendung der Regeln des § 82 Absatz 4 und 5 SGB XII scheide aus systematischen Gründen sowie dem Sinn und Zweck der Privilegierung im Recht der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII aus.
Mit der vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 11b SGB II und begehrt die analoge Anwendung des § 82 Absatz 4 SGB XII.
In den Verfahren B 11 AL 10/23 R und B 11 AL 6/23 R machen die Kläger gegenüber der beklagten Bundesagentur für Arbeit (Beklagte) Ansprüche auf Arbeitslosengeld (Alg) nach ihrer Haftentlassung geltend.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 38 AS 487/21, 30.08.2022
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 6 AS 1306/22, 25.03.2023
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Terminbericht
Der Kläger konnte mit seiner Revision nicht durchdringen. Er hat keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld II im Zeitraum von Dezember 2020 bis November 2021.
Der Senat vermochte im konkreten Fall keinen Mehrbedarf wegen des Erwerbs von COVID-19-Selbsttests in der Pandemie nach § 21 Absatz 6 SGB II zu erkennen. Zwar ist § 21 Absatz 6 SGB II auch auf im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie stehende Bedarfe anwendbar. Tests sind auch dem Grunde nach mehrbedarfsfähig, weil sie ihrer Höhe oder Art nach im Regelbedarf nicht enthalten sind. Dem steht die Regelung zur Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie nach § 70 SGB II in Höhe von 150 Euro nicht entgegen. Weder der Wortlaut noch die Entwurfsbegründung zu § 70 SGB II ergeben einen Hinweis darauf, welche Bedarfe konkret durch die Einmalzahlung abgedeckt werden sollen. Ob es sich insoweit um einen erheblichen Bedarf handelt, hängt alsdann von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei der Prüfung der Unabweisbarkeit des Bedarfs ist zwar grundsätzlich die Einmalzahlung nach § 70 SGB II zu beachten. Nach den nicht angefochtenen Feststellungen des Landessozialgerichts waren die geltend gemachten Bedarfe im konkreten Fall jedoch nicht unabweisbar.
Die vom Kläger bezogene Betriebsrente ist vom Beklagten in zutreffender Höhe als Einkommen im Sinne des § 11 Absatz 1 Satz 1 SGB II bei der Berechnung der SGB-II-Leistung berücksichtigt worden. Von den Einnahmen sind allerdings vor deren Berücksichtigung bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II die in § 11b SGB II normierten Absetzungen vorzunehmen. Eine § 82 Absatz 4 SGB XII vergleichbare Regelung, wonach Beziehern von Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII der Abzug weiterer Beträge von ihrer Betriebsrente ermöglicht wird, sieht das SGB II nicht vor. Eine entsprechende Anwendung des § 82 Absatz 4 SGB XII scheidet nach der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Privilegierung im SGB XII aus. Soweit der Gesetzgeber dabei typischerweise die Zeit nach der Beendigung des Erwerbslebens erfassen wollte, handelt es sich bei Menschen in dieser Lebensphase nicht um den nach dem SGB II leistungsberechtigten Personenkreis.
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