Bundessozialgericht

Verhandlung B 5 R 9/23 R

Rentenversicherung - Regelaltersrente - Zugangsfaktor - Rente wegen voller Erwerbsminderung - Leistungsregress - Unterlassung - Rentenversicherungsträger

Verhandlungstermin 19.12.2024 11:30 Uhr

Terminvorschau

M. B. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine höhere Regelaltersrente unter Zugrundelegung eines ungekürzten Zugangsfaktors für alle Entgeltpunkte.

Aufgrund der Verletzungsfolgen eines während einer Urlaubsreise erlittenen Unfalls gewährte die Beklagte der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Rentenberechnung lag ein geminderter Zugangsfaktor von 0,892 zugrunde. Nachdem der Haftpflichtversicherer des Reiseveranstalters zunächst einen Schadensersatz gegenüber der Beklagten mit der Begründung abgelehnt hatte, diese habe den Anspruch nicht rechtzeitig geltend gemacht, erfolgte eine vergleichsweise Einigung. Der Haftpflichtversicherer ersetzte der Beklagten die entgangenen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, nicht aber die geleistete Erwerbsminderungsrente. Später bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Regelaltersrente und berücksichtigte für die bereits in Anspruch genommenen Entgeltpunkte weiterhin den gekürzten Zugangsfaktor.

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Regelaltersrente unter Zugrundelegung eines für alle Entgeltpunkte ungekürzten Zugangsfaktors zu gewähren. Das Sozialgericht hat sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Dezember 2017 (B 13 R 13/17 R) gestützt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Bundessozialgericht habe seinerzeit entschieden, dass - zumindest wenn dem Rentenversicherungsträger eine von einem Versicherten vorzeitig in Anspruch genommene Altersrente vollständig erstattet werde - der Versicherte bei der Berechnung einer darauffolgenden (Regel-)Altersrente so zu stellen sei, als hätte er die Entgeltpunkte, die der früheren Rente zugrunde lagen, “nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen“ im Sinne des Gesetzes. Dabei habe das Bundessozialgericht seiner Entscheidung maßgeblich eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde gelegt. Diese Ausführungen ließen sich jedoch nicht auf Sachverhalte übertragen, in denen, wie im Fall der Klägerin, kein Leistungsregress durchgeführt worden sei. Schließlich bestehe auch kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch.

Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von
§ 77 Absatz 3 Satz 3 Nummer 2 SGB VI sowie von Artikel 3 Absatz 1 GG. Sie sei bei der Berechnung ihrer Regelaltersrente so zu stellen, als habe sie die Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht in Anspruch genommen. Allein die Beklagte habe es versäumt, den Leistungsregress gegen den Schädiger durchzusetzen.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 52 R 374/17, 04.12.2018
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 2 R 189/19, 17.01.2023

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Terminbericht

Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landessozialgericht einen Anspruch auf höhere Regelaltersrente abgelehnt.

Für die Rentenberechnung blieb für diejenigen Entgeltpunkte, die bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten der Erwerbsminderungsrente waren, der frühere Zugangsfaktor von 0,892 maßgebend. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe Entgeltpunkte bei der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit "nicht in Anspruch genommen". Die Ausnahmevorschrift des § 77 Absatz 3 Satz 3 Nummer 2 SGB VI ist nicht direkt anwendbar, weil die Klägerin die Erwerbsminderungsrente ausgezahlt bekommen hat. Sie findet auch keine analoge Anwendung.

Anders als in dem mit Urteil vom 13. Dezember 2017 (B 13 R 13/17 R) entschiedenen Verfahren wurde die finanzielle Belastung der Beklagten und der Versichertengemeinschaft aufgrund der infolge des Unfalls bezogenen Erwerbsminderungsrente nicht ausgeglichen. Im Fall der Klägerin erfolgte keine Erstattung der Rentenzahlungen durch den Haftpflichtversicherer. Der 13. Senat ging überdies im seinerzeit entschiedenen Rechtsstreit von einer planwidrigen Regelungslücke aus, weil der Anspruch auf Ausgleich des Rentenkürzungsschadens in Form der gekürzten Altersrente nicht beim dortigen Kläger verblieben war. In dem vom 13. Senat entschiedenen Fall war ein entsprechender Schadensersatzanspruch auf den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung übergegangen. Eine solche Konstellation war hier nicht gegeben.

Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen. Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob die Beklagte hier eine drittschützende Pflicht aus dem mit der Klägerin bestehenden Sozialrechtsverhältnis verletzte. Jedenfalls hätte für die von der Klägerin angestrebte Rechtsfolge eine Zahlung in Höhe der geleisteten Erwerbsminderungsrente durch den Haftpflichtversicherer an die Beklagte erfolgen müssen. Diesen fehlenden Umstand kann die Beklagte nicht im Sinne des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs durch eine zulässige Amtshandlung ersetzen.

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