Bundessozialgericht

Verhandlung B 5 R 14/23 R

Rentenversicherung - Altersrente für schwerbehinderte Menschen - Versorgungsausgleich - Rentenfestsetzung - teilweise Rücknahme - Erstattung - Vertrauensschutz - Rentenberater

Verhandlungstermin 19.12.2024 10:30 Uhr

Terminvorschau

W. Z. /. Deutsche Rentenversicherung Bund
Der Kläger wendet sich gegen die teilweise Rücknahme der Festsetzung des Zahlbetrags seiner Rente und Geltendmachung einer Erstattungsforderung.

Er bezieht seit November 2011 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Bei der Rentenberechnung unterblieb versehentlich eine Berücksichtigung des zu seinen Lasten durchgeführten Versorgungsausgleichs. Im Rentenantrag waren hierzu zutreffende Angaben gemacht worden. Der Kläger hatte den Rentenantrag durch einen Rentenberater stellen lassen, dem gegenüber auch der Rentenbescheid bekannt gegeben wurde. In der Folgezeit stellte die Beklagte die Rente des Klägers mehrfach unter anderem aufgrund von Hinzuverdienst neu fest. Im Mai 2017 bemerkte die Beklagte die fehlerhafte Berechnung. Mit drei Bescheiden aus August 2017 stellte sie die Rente unter Aufhebung von früheren Bescheiden auch für die Vergangenheit neu fest und forderte Erstattung in Höhe von insgesamt 3864,45 Euro. Wegen ihres Mitverschuldens reduzierte sie dabei den Umfang der Erstattungsforderung. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Auf seine Klage hat das Sozialgericht die drei Aufhebungs- und Erstattungsbescheide aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung die Klage abgewiesen. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Zwar habe er selbst die ohne Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs fehlerhafte Rentenfestsetzung nicht erkennen müssen. Seinem Rentenberater sei dies aufgrund besonderer Sachkunde jedoch möglich gewesen. Der Kläger müsse sich die grob fahrlässige Unkenntnis des Rentenberaters zurechnen lassen, denn dieser sei als sein Wissensvertreter anzusehen.

Mit seiner vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des
§ 45 SGB X. Die Grundsätze der Wissensvertretung seien im Rahmen dieser Vorschrift nicht heranzuziehen. Im Übrigen würde nach diesen Grundsätzen nur die (Un-) Kenntnis von Tatsachen zugerechnet, während § 45 Absatz 2 Satz 3 Nummer 3 SGB X eine rechtliche Wertung beinhalte.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Lübeck, S 18 R 7/19, 15.12.2021
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, L 1 R 34/22, 16.02.2023

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Terminbericht

Die Revision ist, soweit sie sich nicht durch Erklärungen der Beteiligten im Termin unstreitig erledigt hat, ohne Erfolg geblieben. In Bezug auf den Leistungszeitraum von November 2011 bis März 2012 hat das Landessozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen.

Insoweit konnte der Kläger sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Die bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts tragen die Annahme, die Unkenntnis des Rentenberaters von der Rechtswidrigkeit der Rentenbetragsfestsetzung habe auf grober Fahrlässigkeit beruht. Der Kläger muss sich die grob fahrlässige Unkenntnis seines Rentenberaters nach den Grundsätzen der Wissensvertretung zurechnen lassen.

Im Zivilrecht erfolgt auch außerhalb von Rechtsgeschäften und rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen eine Wissenszurechnung entsprechend § 166 BGB mit Rücksicht auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) bei sogenannten Wissensvertretern. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kommt eine vergleichbare Wissenszurechnung im Sozialrecht grundsätzlich in Betracht. Das gilt auch für die Fälle des § 45 Absatz 2 Satz 3 Nummer 3 SGB X. Dem steht nicht entgegen, dass die Regelung an die (Un-) Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und damit an einen inneren Zustand anknüpft. § 166 BGB bewirkt gerade eine Zurechnung innerer Zustände des Vertreters beim Vertretenen. Die Einstandspflicht des Geschäftsherrn entsprechend dem Rechtsgedanken des § 166 Absatz 1 BGB erstreckt sich zudem auf die rechtserheblichen Versäumnisse seines Beauftragten.

Der Rentenberater des Klägers ist hier auch als dessen Wissensvertreter anzusehen. Ausgehend von den bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts wurde er im Sozialverwaltungsverfahren als Bevollmächtigter eingesetzt. Zu den vertraglichen Pflichten eines zur Vertretung im Rentenverfahren umfassend bevollmächtigten Rentenberaters gehört in aller Regel die sorgfältige Durchsicht der im Verfahren erlassenen Bescheide auf sachliche und rechnerische Richtigkeit. Das stellt typischerweise einen wesentlichen Bestandteil der vertraglich geschuldeten Rechtsdienstleistung dar. Schon für den Adressaten eines Rentenbewilligungsbescheids besteht die Obliegenheit, diesen zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass nach dem (zumindest konkludent abgeschlossenen) Beratungsvertrag zwischen dem Kläger und seinem Rentenberater letzterer hier ausnahmsweise nicht zur Prüfung des Rentenbescheids verpflichtet gewesen sein könnte, zumal er ausdrücklich zur Entgegennahme des Bescheids bevollmächtigt worden war.

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