Verhandlung B 7 AS 5/24 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss für Auszubildende - schulische Ausbildung - Rückausnahme - Entscheidung des Amts für Ausbildungsförderung
Verhandlungstermin
12.03.2025 10:45 Uhr
Terminvorschau
S. Y. ./. Jobcenter team.arbeit.hamburg
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf zuschussweise Gewährung von Arbeitslosengeld II noch für die Zeit vom 1. Januar bis 14. Februar 2020.
Die Klägerin studierte zunächst Politikwissenschaften und bezog währenddessen Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Im 5. Fachsemester gab sie das Studium auf und erhielt aufstockend Arbeitslosengeld II vom beklagten Jobcenter. Zum 1. April 2019 begann sie eine schulische Ausbildung zur Ergotherapeutin an einem privaten Institut und beantragte Leistungen nach dem BAföG. Der Beklagte bewilligte der Klägerin zunächst weiterhin Arbeitslosengeld II, weil es an einer Entscheidung des Amtes für Ausbildungsförderung über den erneuten BAföG-Antrag mangelte (§ 7 Absatz 6 Nummer 2b SGB II). Letzterer wurde im September 2019 mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin wegen des Abbruchs ihres Studiums ohne unabweisbare Gründe nach Beginn des vierten Fachsemesters keinen erneuten Leistungsanspruch nach dem BAföG habe. Daraufhin hob der Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld II mit Wirkung ab 1. November 2019 auf. Die Klägerin absolviere eine dem Grunde nach durch Leistungen nach dem BAföG förderungsfähige Ausbildung und erhalte allein aus individuellen Gründen keine Leistungen. Daher sei sie mit der Ablehnung von BAföG zugleich von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Den Antrag auf Arbeitslosengeld II ab Januar 2020 lehnte der Beklagte ab. Im einstweiligen Rechtsschutz verpflichtete das Sozialgericht ihn, der Klägerin vorläufig für die Zeit vom 1. Februar bis 30. April 2020, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, der auf die Zustellung des Widerspruchsbescheids des Amts für Ausbildungsförderung folge, die Leistung zu erbringen. Der Beklagte bewilligte daraufhin unter anderem für Januar und Februar 2020 „aufgrund der Entscheidung des Sozialgerichts“ ein zinsloses Darlehen nach § 27 Absatz 3 SGB II. Der Widerspruch hiergegen blieb erfolglos.
Das Amt für Ausbildungsförderung wies den Widerspruch der Klägerin gegen die ablehnende Entscheidung über Leistungen der Ausbildungsförderung im März 2020 zurück. Ab dem 15. Februar 2020 gab die Klägerin die Ausbildung zur Ergotherapeutin auf.
Auf ihre Klage gegen die ablehnende Entscheidung des Beklagten verurteilte das Sozialgericht den Beklagten, für die Zeit von Januar bis März 2020 Leistungen als Zuschuss zu gewähren. Dies bestätigte das Landessozialgericht für die Zeit vom 15. Februar bis 31. März 2020 und wies die Klage im Übrigen ab. Die Klägerin sei bis zum 14. Februar 2020 wegen der Förderungsfähigkeit der schulischen Ausbildung zur Ergotherapeutin dem Grunde nach vom Arbeitslosengeld II ausgeschlossen gewesen. Dies habe sich erst mit der tatsächlichen Beendigung der Ausbildung am 15. Februar 2020 geändert. Für die davor liegende Zeit komme ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II auch nicht deswegen in Betracht, weil die Entscheidung über die Ablehnung des BAföG durch das Amt für Ausbildungsförderung erst durch die Erteilung des Widerspruchsbescheids im März 2020 bestandskräftig geworden sei. Die Rückausnahmevorschrift des § 7 Absatz 6 Nummer 2b SGB II greife nur bis zur ersten Entscheidung dieses Amtes.
Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin im Wesentlichen eine Verletzung von § 7 Absatz 6 Nummer 2b SGB II.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Hamburg, S 37 AS 1191/20, 25.07.2023
Landessozialgericht Hamburg, L 4 AS 211/23 D, 18.12.2023
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 4/25.
Terminbericht
Die Klägerin ist mit ihrer Revision unterlegen. Sie hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II in der Zeit vom 1. Januar bis 14. Februar 2020.
Gegenständlich ist allein die Ablehnung der Erbringung von Arbeitslosengeld II als Zuschuss, wie sie durch das beklagte Jobcenter mit dem Bescheid vom 20. Januar in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. März 2020 erfolgt ist. Mit der späteren darlehensweisen Leistungsbewilligung hat der Beklagte sie nicht konkludent oder wiederholt abgelehnt. Die insoweit gegen die Darlehensbescheide gerichtete Klage konnte hier schon mangels Beschwer keinen Erfolg haben.
Die Klägerin war im streitigen Zeitraum von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Sie durchlief eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung im Sinne des § 7 Absatz 5 Satz 1 SGB II. Für die Ablehnung eines Anspruchs auf BAföG waren allein individuelle Gründe maßgeblich - sie hatte das Hochschulstudium nach dem Ende des 4. Fachsemesters ohne unabweisbare Gründe beendet.
Eine Rückausnahme vom Leistungsausschluss liegt nicht vor. Eine solche ist unter anderem nach § 7 Absatz 6 Nummer 2b SGB II vorgesehen, wenn Auszubildende BAföG beantragt haben und das zuständige Amt für Ausbildungsförderung über deren Antrag noch nicht entschieden hat. Im Streitzeitraum waren diese Voraussetzungen bei der Klägerin jedoch nicht mehr gegeben. Die Rückausnahme insoweit kommt nur bis zur ersten Entscheidung des Amtes für Ausbildungsförderung in Betracht. Der ablehnende Ausgangsbescheid dieses Amtes war hier bereits im September 2019 ergangen.
Eine Verlängerung der Frist des § 7 Absatz 6 Nummer 2b SGB II über den Zeitpunkt der ersten Entscheidung des Amtes für Ausbildungsförderung hinaus widerspräche der Entstehungsgeschichte der Leistungsausschlüsse für Auszubildende und den Vorschriften zur Rückausnahme, der Systematik des Normkontextes sowie dem Sinn und Zweck der Regelung. Danach ist der zuschussweise Arbeitslosengeld-II-Bezug für Personen in einer förderungsfähigen Ausbildung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen vorgesehen. Dieser Grunderkenntnis folgt auch die Auslegung des § 7 Absatz 6 Nummer 2b SGB II.
Mit dem Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II für Auszubildende nach § 7 Absatz 5 Satz 1 SGB II soll in Fortführung sozialhilferechtlicher Regelungen des Bundesozialhilfegesetzes eine (verdeckte) Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene durch die Zahlung von Arbeitslosengeld II verhindert werden. Das Risiko der ausbildungsbedingten Unterdeckung des Lebensunterhalts wird als alleinige Folge der Ausgestaltung der Ausbildungsförderungssysteme und nicht des nachrangigen Existenzsicherungssystems des SGB II angesehen. Zwar wurden im Zeitverlauf verschiedene Ausnahmen vom Ausschluss der Auszubildenden im SGB II normiert. In der Konsequenz kommt ein die Ausbildungsförderung ergänzender zuschussweiser Leistungsanspruch allerdings im Wesentlichen nur dann in Betracht, wenn Leistungen nach dem BAföG tatsächlich bezogen werden. Der Zeitraum des Aufschubs nach § 7 Absatz 6 Nummer 2b SGB II stellt insoweit eine Rückausnahme zur Rückausnahme dar, führt im Ergebnis also wieder zum ursprünglichen Leistungsausschluss. Die zuschussweise Arbeitslosengeld II-Erbringung in der Zeit bis zur ersten Entscheidung des Amtes für Ausbildungsförderung hat überbrückenden Charakter. Denn die Systematik des § 7 Absatz 5 Satz 1 in Verbindung mit § 7 Absatz 6 Nummer 2b SGB II geht von einem Leistungsausschluss aus, wenn eine abstrakt förderungsfähige Ausbildung absolviert wird. Die Rückausnahme bezweckt in diesem Zusammenhang allein das Abfedern von Notlagen im Schnittstellenbereich zwischen BAföG und der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Die Voraussetzungen für eine Vorlage wegen des Ausschlusses Auszubildender von Leistungen nach dem SGB II nach der ersten ablehnenden Entscheidung des Amtes für Ausbildungsförderung über den BAföG-Anspruch an das Bundesverfassungsgericht zur konkreten Normkontrolle nach Artikel 100 GG liegen nicht vor.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 4/25.