Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 8/23 R

Krankenversicherung - Arzneimittelversorgung - Zytostatika - Apotheke - Vergütungsanspruch

Verhandlungstermin 13.03.2025 14:00 Uhr

Terminvorschau

S. U. ./. IKK classic
Im Streit steht der Anspruch auf Vergütung für die Abgabe von Arzneimitteln.

Der klagende Apotheker gab vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2016 auf vertragsärztliche Verordnungen von ihm ordnungsgemäß hergestellte parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten (Zytostatika) für Versicherte der beklagten Krankenkasse ab, rechnete diese ab und erhielt sie von der Beklagten zunächst vergütet. Die Abgaben durch den Kläger erfolgten in einer Versorgungsregion, in der (auch) die Beklagte mit anderen Apotheken Verträge nach § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V (in der bis 12. Mai 2017 geltenden Fassung) über die Versorgung mit Zytostatika geschlossen hatte. Diese Apotheken waren im sogenannten Open-House-Verfahren gesucht worden und dem angebotenen Vertrag für das Gebiet des Regionalloses beigetreten. Der Kläger trat dem ihm bekannten Vertragsangebot nicht bei. Nach dem Open-House-Vertrag gewährten die beigetretenen Apotheken den vertragschließenden Krankenkassen - zusätzlich zum Vertrag über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen (Hilfstaxe) - Preisabschläge und waren nur Apotheken, welche den Vertrag geschlossen hatten, berechtigt, Zytostatika an Versicherte dieser Krankenkassen in den Vertragsregionen abzugeben und abzurechnen. Die Beklagte beanstandete im August 2017 nach Prüfung die vergüteten streitigen Abrechnungen (Retaxation) verfahrensrechtlich wie rechnerisch korrekt und rechnete in 2018 die beanstandeten Abrechnungen gegen spätere unstreitige Vergütungsforderungen des Klägers auf. Dieser sei mangels Vertragsbeitritts nicht abgabeberechtigt gewesen.

Das Sozialgericht hat die auf Zahlung einbehaltener Vergütung von 44 180,29 Euro nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die Berufung zurückgewiesen: Dem Kläger habe für die streitigen Abrechnungen kein Vergütungsanspruch zugestanden. Er sei zur Abgabe der Zytostatika nicht berechtigt gewesen, weil die Beklagte berechtigt gewesen sei, die Versorgung ihrer Versicherten mit Zytostatika durch einen Open-House-Vertrag zu regeln, nach dem die Berechtigung zur Abgabe von Zytostatika in einem bestimmten Versorgungsgebiet den Beitritt der Apotheke zum Vertrag vorausgesetzt habe, den der Kläger - anders als andere Apotheker - nicht erklärt habe. Dass den geschlossenen Verträgen Exklusivität gegenüber den Apotheken zugekommen sei, die nicht beigetreten gewesen seien, folge aus § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V in der im streitigen Abgabezeitraum geltenden Fassung und dem hierzu ergangenen Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. November 2015 (B 3 KR 16/15 R - BSGE 120, 122 = SozR 4-2500 § 129 Nr 11). Anderes folge hier nicht daraus, dass der Ausschluss des Klägers auf im Wege des Open-House-Verfahrens geschlossenen Verträgen und nicht auf einem im Wege des Vergabeverfahrens nach Ausschreibung geschlossenen Einzelvertrag beruhe.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger insbesondere die Verletzung von § 129 SGB V und § 31 SGB V. Die Vorinstanzen hätten diese Vorschriften fehlerhaft, nämlich in der vom Bundessozialgericht seinem Urteil vom 25. November 2015 zugrunde gelegten Auslegung angewandt. Entgegen dieser Entscheidung habe weder Einzelverträgen nach § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V noch Verträgen im Open-House-Verfahren eine Exklusivität innegewohnt und sei das Apothekenwahlrecht der Versicherten nach § 31 Absatz 1 Satz 5 SGB V im Bereich der Zytostatikaversorgung nicht ausgeschlossen gewesen. Für eine anderslautende Auslegung sei jedenfalls seit der Aufhebung von § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V zum 13. Mai 2017 kein Raum mehr.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Dresden, S 18 KR 1353/18, 12.05.2021
Sächsisches Landessozialgericht, L 1 KR 208/21, 13.07.2022

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Terminbericht

Die Revision des Klägers war erfolglos. Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass er keinen Anspruch auf die Vergütung für die streitige Abgabe von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten (Zytostatika) hat, weshalb die von der Beklagten vorgenommene Retaxation und Aufrechnung rechtmäßig ist.

Dem Vergütungsanspruch für die hier streitigen Abgaben vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2016 steht entgegen, dass die Beklagte in der vom Kläger versorgten Region mit anderen Apotheken über die Versorgung mit Zytostatika Verträge nach § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V (in der bis 12. Mai 2017 geltenden Fassung) geschlossen hatte, denen Exklusivitätswirkung gegenüber dem Kläger zukam und die dieser kannte. Der Kläger war daher nicht abgabeberechtigt. Der Senat hält für den streitigen Zeitraum an seiner Rechtsprechung zur Exklusivitätswirkung von Verträgen nach § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V fest (Urteil vom 25. November 2015 - BSGE 120, 122 = SozR 4-2500 § 129 Nummer 11 zu Einzelverträgen nach Ausschreibung im Vergabeverfahren).

Dieser Wirkung steht hier nicht entgegen, dass die Apotheken, mit denen die Beklagte Verträge geschlossen hatte, nicht im Wege der Ausschreibung, sondern im sogenannten Open-House-Verfahren gesucht worden und dem angebotenen Vertrag für das Gebiet des Regionalloses, anders als der Kläger, beigetreten waren. Zwar ist durch den Beitritt mehrerer Apotheken zu einem Open-House-Vertrag in einem bestimmten Gebiet dessen Exklusivitätswirkung im Vergleich zu einem Einzelvertrag für eine Apotheke in einem Gebiet nach Ausschreibung im Vergabeverfahren eingeschränkt. Aber auch der Open-House-Vertrag schließt alle nicht beigetretenen Apotheken von der Versorgung mit Zytostatika zulasten der vertragsschließenden Krankenkasse in diesem Gebiet aus. Eine zumindest prinzipielle Exklusivität der Lieferbeziehungen als Anreiz für Abschläge gegenüber den sonst geltenden Preisen gehört nach § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V in der bis 12. Mai 2017 geltenden Fassung zu den Essentiala eines Einzelvertrags ebenso wie eines Open-House-Vertrags.

Anderes folgt hier auch nicht daraus, dass der Gesetzgeber nach dem streitigen Zeitraum zum 13. Mai 2017 die gesetzliche Grundlage des § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V für Exklusivlieferverträge aufgehoben hat. Aus den Gesetzesmaterialien zur Aufhebung ergibt sich vielmehr, dass der Gesetzgeber die Exklusivität für das Kernelement der Verträge hielt, er diese gesetzliche Konzeption jedoch nicht fortsetzte und für die Zukunft durch eine andere ersetzte (Bundestag-Drucksache 18/11449 Seite 36 f). Der genannten Rechtsprechung des Senats ist damit nicht rückwirkend die Grundlage entzogen worden.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 3/25.

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