Verhandlung B 3 KR 9/23 R
Krankenversicherung - Arzneimittelversorgung - Zytostatika - Apotheke - Vergütungsanspruch
Verhandlungstermin
13.03.2025 14:00 Uhr
Terminvorschau
S. U. ./. BARMER
Im Streit steht der Anspruch auf Vergütung für die Abgabe von Arzneimitteln.
Der klagende Apotheker gab vom 16. Juni bis 29. August 2017 auf vertragsärztliche Verordnungen von ihm ordnungsgemäß hergestellte Zytostatika für Versicherte der beklagten Krankenkasse ab, rechnete diese ab und erhielt sie von der Beklagten zunächst vergütet. Die Abgaben durch den Kläger erfolgten in einer Versorgungsregion, in der (auch) die Beklagte mit einer anderen Apotheke einen Einzelvertrag nach § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V (in der bis 12. Mai 2017 geltenden Fassung) über die Versorgung mit Zytostatika geschlossen hatte. Diese Apotheke war nach Ausschreibung in einem Vergabeverfahren für das Gebiet des Regionalloses bezuschlagt worden. Nach dem ausgeschriebenen Vertrag war sie alleiniger Vertragspartner der vertragschließenden Krankenkassen für das bezuschlagte Gebietslos und hier für die Zytostatikaversorgung exklusiv verantwortlich, für die sie - zusätzlich zur Hilfstaxe - den Krankenkassen Preisabschläge anbot. Der Kläger hatte sich am Vergabeverfahren beteiligt und den Zuschlag für ein anderes Gebietslos erhalten. Nach dem ausgeschriebenen Vertrag verpflichtete er sich, in den übrigen Gebietslosen, für die er keinen Zuschlag erhalten hatte, keine Zytostatika abzugeben; auf diese Pflicht wies die Beklagte (auch) den Kläger mit Schreiben im April und Juni 2017 hin. Die Beklagte beanstandete im April 2018 nach Prüfung die vergüteten streitigen Abrechnungen (Retaxation) verfahrensrechtlich wie rechnerisch korrekt und rechnete die beanstandeten Abrechnungen gegen spätere unstreitige Vergütungsforderungen des Klägers auf. Dieser sei nach den Vertragskonditionen mangels Zuschlags im versorgten Gebiet nicht abgabeberechtigt gewesen.
Das Sozialgericht hat die auf Zahlung einbehaltener Vergütung von 49 451,82 Euro nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die Berufung zurückgewiesen: Dem Kläger habe für die streitigen Abrechnungen kein Vergütungsanspruch zugestanden. Er sei zur Abgabe der Zytostatika nicht berechtigt gewesen, weil die Beklagte nach § 129 Absatz 5 Satz 4 SGB V (in der ab 13. Mai 2017 geltenden Fassung) berechtigt gewesen sei, ihre Versicherten mit Zytostatika entsprechend dem mit einer anderen für das Gebietslos bezuschlagten Apotheke vor dem 13. Mai 2017 geschlossenen Exklusivvertrag zu versorgen. Dass den nach einem Ausschreibungsverfahren geschlossenen Einzelverträgen Exklusivität gegenüber den nicht bezuschlagten Apotheken zugekommen sei, folge aus § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V in der bis 12. Mai 2017 geltenden Fassung, dem hierzu ergangenen Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. November 2015 (B 3 KR 16/15 R - BSGE 120, 122 = SozR 4-2500 § 129 Nr 11) und aus § 129 Absatz 5 Satz 4 SGB V in der im streitigen Abgabezeitraum geltenden Fassung. Nach dieser habe die Exklusivität bis zum 12. Mai 2017 geschlossener Verträge innerhalb einer Übergangszeit bis 31. August 2017 unverändert und uneingeschränkt fortgegolten.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger insbesondere die Verletzung von § 129 SGB V und § 31 SGB V. Die Vorinstanzen hätten diese Vorschriften fehlerhaft, nämlich in der vom Bundessozialgericht seinem Urteil vom 25. November 2015 zugrunde gelegten Auslegung und ohne Berücksichtigung der Gesetzesänderungen zum 13. Mai 2017 angewandt. Entgegen der Entscheidung des Bundessozialgerichts habe Einzelverträgen nach § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V keine Exklusivität innegewohnt und sei das Apothekenwahlrecht der Versicherten nach § 31 Absatz 1 Satz 5 SGB V im Bereich der Zytostatikaversorgung nicht ausgeschlossen gewesen. Für eine anderslautende Auslegung sei jedenfalls nach der Aufhebung von § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V zum 13. Mai 2017 und auch in der Übergangszeit bis 31. August 2017 kein Raum mehr.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Dresden, S 18 KR 1750/19, 12.05.2021
Sächsisches Landessozialgericht, L 1 KR 209/21, 13.07.2022
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Terminbericht
Die Revision des Klägers war erfolglos. Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass er keinen Anspruch auf die Vergütung für die streitige Abgabe von Zytostatika hat, weshalb die von der Beklagten vorgenommene Retaxation und Aufrechnung rechtmäßig ist.
Dem Vergütungsanspruch für die hier streitigen Abgaben vom 16. Juni bis 29. August 2017 steht entgegen, dass die Beklagte in der vom Kläger versorgten Region mit einer anderen Apotheke über die Versorgung mit Zytostatika nach Ausschreibung in einem Vergabeverfahren einen Einzelvertrag nach § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V (in der bis 12. Mai 2017 geltenden Fassung) geschlossen hatte, der nach der gesetzlichen Übergangsregelung in § 129 Absatz 5 Satz 4 SGB V (in der ab 13. Mai 2017 geltenden Fassung) erst mit Ablauf des 31. August 2017 unwirksam wurde und den der Kläger kannte. Der Senat hält für den streitigen Zeitraum an seiner Rechtsprechung zur Exklusivitätswirkung von Verträgen nach § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V fest (Urteil vom 25. November 2015 - BSGE 120, 122 = SozR 4-2500 § 129 Nummer 11). Eine zumindest prinzipielle Exklusivität der Lieferbeziehungen als Anreiz für Abschläge gegenüber den sonst geltenden Preisen gehört danach zu den Essentiala eines Einzelvertrags nach § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V in der bis 12. Mai 2017 geltenden Fassung. Der Kläger war daher nicht abgabeberechtigt.
Anderes folgt nicht daraus, dass der Gesetzgeber vor dem streitigen Zeitraum zum 13. Mai 2017 die gesetzliche Grundlage des § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V für Exklusivlieferverträge aufgehoben und durch die Übergangsregelung in § 129 Absatz 5 Satz 4 SGB V das Unwirksamwerden zuvor geschlossener Verträge mit Ablauf des 31. August 2017 bestimmt hat. Im Zeitraum der streitigen Abgaben stand auf dieser Grundlage der Abgabeberechtigung des Klägers noch die Exklusivität des Einzelvertrags mit einer anderen für das Gebiet bezuschlagten Apotheke entgegen. Aus den Gesetzesmaterialien zur Aufhebung ergibt sich insoweit, dass der Gesetzgeber die Exklusivität für das Kernelement der Verträge hielt, er diese gesetzliche Konzeption zwar nicht fortsetzte und für die Zukunft durch eine andere ersetzte, die Unwirksamkeit geltender Verträge aber erst nach einer gewissen Übergangsfrist vorsah (Bundestag-Drucksache 18/11449 Seite 36 f). Der genannten Rechtsprechung des Senats ist damit für den Übergangszeitraum nicht die Grundlage entzogen worden.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 3/25.