Verhandlung B 3 KR 16/23 R
Krankenversicherung - Arzneimittelversorgung - Preiserhöhungsabschlag
Verhandlungstermin
13.03.2025 11:00 Uhr
Terminvorschau
B. GmbH ./. GKV-Spitzenverband
Im Streit steht der Preiserhöhungsabschlag nach § 130a Absatz 3a SGB V.
Dieser ist bei Neueinführung eines Arzneimittels, für das der pharmazeutische Unternehmer bereits ein Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff und vergleichbarer Darreichungsform in Verkehr gebracht hat, auf Grundlage des Preises je Mengeneinheit der Packung zu berechnen, die dem neuen Arzneimittel in Bezug auf die Packungsgröße unter Berücksichtigung der Wirkstärke am nächsten kommt.
Die Klägerin ist ein pharmazeutischer Unternehmer und bringt unter anderem Arzneimittel unter der Bezeichnung Avonex (A) in unterschiedlichen, untereinander vergleichbaren Darreichungsformen in den Verkehr. Sie brachte am 1. Juli 2011 das Fertigarzneimittel A-Pen in einer Packung mit 4 Fertigspritzen und in einer Packung mit 12 Fertigspritzen neu in Deutschland in den Verkehr. Bereits zuvor hatte sie Fertigarzneimittel mit identischem Wirkstoff, identischer Wirkstärke und vergleichbarer Darreichungsform in Deutschland in den Verkehr gebracht (A-Set in einer 4er-Packung, A-LL in einer 4er-Packung und 12er-Packung sowie A-AV in einer 4er Packung). Die von ihr bestimmten Abgabepreise für den neu eingeführten A-Pen verhielten sich im Vergleich zu den Abgabepreisen der von ihr bereits in Verkehr gebrachten Arzneimittel mit Stand der sogenannten Lauer-Taxe am 1. August 2009 als gesetzlichen Stichtag für den Preisstand wie folgt: A-Pen in der 4er-Packung entsprach A-Set, war teurer als A-LL in der 4er-Packung und auch teurer als A-AV; A-Pen in der 12er-Packung war teurer als A-LL in der 12er-Packung und entsprach dem dreifachen Preis der 4er-Packung von A-Set.
Nach Maßgabe des gesetzlich und vertraglich geregelten Verfahrens übermittelte die Klägerin die Preis- und Produktangaben zu ihrem neu eingeführten Arzneimittel, auf deren Grundlage im Rahmen dieses Verfahrens Preiserhöhungsabschläge für A-Pen in der 4er- und 12er-Packung bestimmt und in der Lauer-Taxe ausgewiesen wurden. Dem Preiserhöhungsabschlag für die 4er-Packung lag ein Vergleich mit dem Durchschnittspreis der 4er-Packungen von A-Set, A-LL und A-AV zugrunde, dem Preiserhöhungsabschlag für die 12er-Packung ein Vergleich mit der 12er- Packung von A-LL. Hierauf wandte sich die Klägerin vorprozessual an den beklagten GKV-Spitzenverband und legte ihre Auffassung dar, dass Preiserhöhungsabschläge nicht zu erheben seien. Der Beklagte trat dem unter Hinweis auf seine Regelungen nach § 130a Absatz 3a Satz 10 SGB V (im Folgenden: Leitfaden) entgegen. Die Klägerin zahlte die Preiserhöhungsabschläge sodann unter Vorbehalt.
Das Sozialgericht hat die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Preiserhöhungsabschläge abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die auf Feststellung gerichtete Berufung, dass A-Pen in beiden Packungsgrößen nicht dem Preiserhöhungsabschlag unterfalle, hilfsweise der Abschlag anders zu berechnen sei, zurückgewiesen: A-Pen unterliege in beiden Packungsgrößen dem Preiserhöhungsabschlag, der jeweils zutreffend berechnet worden sei. Maßgeblich sei nach dem Gesetz der Preisstand der Vergleichsarzneimittel am 1. August 2009, ohne dass es auf die Anzahl von Vergleichsarzneimitteln ankomme. Für die drei Vergleichsarzneimittel in einer 4er-Packung, die dem A-Pen in der 4er-Packung unterschiedslos am nächsten kämen, sei nach dem ermächtigungskonform das Nähere regelnden Leitfaden des Beklagten ein Durchschnittspreis in Form des arithmetischen Mittelwerts zu bilden gewesen und im Vergleich zu diesem sei der Preis des A-Pen in der 4er-Packung höher. Der Preis des A-Pen in der 12er-Packung sei im Vergleich zu A-LL in der 12er-Packung höher. Bei der Berechnung des Abschlags für A-Pen in der 4er-Packung sei auch das Arzneimittel A-AV einzubeziehen gewesen, obwohl es am Stichtag 1. August 2009 in der Lauer-Taxe als “außer Vertrieb“ ausgewiesen gewesen sei. Der Leitfaden stelle ermächtigungskonform nur darauf ab, ob ein Vergleichsarzneimittel am Stichtag in der Lauer-Taxe als verkehrsfähig ausgewiesen gewesen sei, was auf A-AV zutreffe.
Mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 130a Absatz 3a SGB V und Artikel 3, 12 und 20 GG. Sie sei nicht verpflichtet, für den A-Pen einen Preiserhöhungsabschlag zu zahlen, weil bei Neueinführung eines Arzneimittels für die Annahme einer Preiserhöhung ohne gesetzliche Grundlage hierfür nicht auf einen errechneten, am Markt nicht verlangten Durchschnittspreis für vergleichbare Arzneimittel abgestellt werden dürfe. Ungeachtet dessen sei der Abschlag für die 4er-Packung der Höhe nach rechtswidrig, weil in die Durchschnittspreisbildung das Arzneimittel A-AV einbezogen worden sei, das am 1. August 2009 in der Lauer-Taxe “außer Vertrieb“ gekennzeichnet gewesen sei.
Verfahrensgang:
Sozialgericht Berlin, S 143 KR 140/16, 11.04.2018
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 14 KR 258/18, 19.10.2023
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin war erfolglos. Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass das neu eingeführte Arzneimittel A-Pen in beiden Packungsgrößen dem Preiserhöhungsabschlag nach § 130a Absatz 3a SGB V unterliegt und dieser zutreffend berechnet ist.
Der A-Pen in der Packung mit 4 Fertigspritzen unterliegt dem Abschlag, weil der Abgabepreis der Klägerin bei Neueinführung dieses Arzneimittels am 1. Juli 2011 höher war als der Durchschnitt der Abgabepreise der von ihr bereits zuvor in Verkehr gebrachten Vergleichsarzneimittel mit Stand der sogenannten Lauer-Taxe am 1. August 2009 als gesetzlichen Stichtag für den Preisstand. Die Abschlagspflicht und eine Durchschnittspreisbildung, wenn bei Neueinführung eines Arzneimittels bereits mehr als ein Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff und vergleichbarer Darreichungsform in Verkehr gebracht worden war, ergeben sich aus der Auslegung des § 130a Absatz 3a SGB V selbst, nicht erst aus dem Leitfaden des Beklagten, der nur das Nähere zu regeln ermächtigt ist.
Der gesetzliche Preiserhöhungsabschlag bei Neueinführung eines Arzneimittels zielt auf einen Preisstopp im Verhältnis zu bereits in Verkehr gebrachten Vergleichsarzneimitteln des pharmazeutischen Unternehmers, ohne dass es für das Eingreifen der Abschlagspflicht darauf ankommt, ob nur ein Vergleichsarzneimittel oder mehrere Vergleichsarzneimittel bei Neueinführung bereits in Verkehr gebracht worden waren. Waren - wie hier bezogen auf den A-Pen in der 4er-Packung - bereits mehrere Arzneimittel, die dem neuen Arzneimittel in Bezug auf die Packungsgröße unter Berücksichtigung der Wirkstärke unterschiedslos am nächsten kommen, in Verkehr gebracht worden, ist als Vergleichspreis für die Abschlagsberechnung ein Durchschnittspreis zu bilden. Ein Vergleich nur mit dem geringsten oder höchsten Preis eines der Vergleichsarzneimittel vermöchte weder den gesamten Preisstand am 1. August 2009 abzubilden noch die mit dem Abschlag verfolgten Ziele einer Stabilisierung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung und der angemessenen Beteiligung der pharmazeutischen Unternehmer an der Kostendämpfung im Gesundheitswesen zu erreichen. Dass nach dem Leitfaden des Beklagten die Durchschnittspreisbildung allein nach dem arithmetischen Mittelwert der Preise der Vergleichsarzneimittel erfolgt und nicht etwa auch deren mengenmäßige Gewichtung vorsieht, hält sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung des Beklagten, das Nähere zum Preiserhöhungsabschlag zu regeln.
In die Durchschnittspreisbildung war auch das Arzneimittel A-AV einzubeziehen. Dieses war am gesetzlichen Stichtag 1. August 2009 nach den allein maßgeblichen Preis- und Produktinformationen in der Lauer-Taxe dort zwar als “außer Vertrieb“, nicht aber als “nicht verkehrsfähig“ verzeichnet. Dass nach dem Leitfaden des Beklagten für die Ermittlung des Preises am Stichtag verkehrsfähiger Vergleichsarzneimittel allein auf die Angaben in der Lauer-Taxe als Datengrundlage abzustellen ist, hält sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung und stimmt überein auch mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Bedeutung der auf den Datenübermittlungen der pharmazeutischen Unternehmer beruhenden Lauer-Taxe im Abschlagserhebungsverfahren nach § 130a SGB V.
Der A-Pen in der Packung mit 12 Fertigspritzen unterliegt dem Abschlag, weil der Abgabepreis der Klägerin bei Neueinführung dieses Arzneimittels am 1. Juli 2011 höher war als der Abgabepreis des von ihr bereits zuvor in Verkehr gebrachten Vergleichsarzneimittels A-LL in der 12er-Packung mit Stand der Lauer-Taxe am 1. August 2009, das allein dem neu eingeführten A-Pen in der 12er-Packung am nächsten kommt.
Verfassungsrecht steht den Preiserhöhungsabschlägen nicht entgegen. Sie sind zwar für die Klägerin grundrechtsrelevant, aber hier nach Maßgabe der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Abschlägen gerechtfertigt. Auch hat der Beklagte die Grenzen seiner Ermächtigung zur Regelung des Näheren nicht überschritten.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 3/25.