Text des Interviews mit dem Präsidenten des Bundessozialgerichts Prof. Dr. Rainer Schlegel
Jutta Siefert: Herr Schlegel, was war für das Bundessozialgericht im vergangenen Jahr bemerkenswert?
Prof. Dr. Rainer Schlegel: Bemerkenswert sind natürlich die Auswirkungen der Corona-Pandemie - wie für alle Bereiche des Gesellschafts- und Berufslebens. Die Pandemie macht uns im Gericht Probleme, wenn es darum geht, den Zusammenhalt der Beschäftigten aufrecht zu erhalten. Homeoffice ist sicherlich eine Erleichterung für die Arbeitsabläufe, aber Homeoffice schafft auch Probleme, schafft Spannungen unter den Beschäftigten. Wir haben eine zweite große Baustelle eingerichtet, eine reale, die wir im Vorspann gesehen haben. Diese Baustelle dient der Einrichtung von Sicherheitsvorkehrungen beim Zutritt zum Gericht. Wir haben aber auch eine Baustelle in Form der Digitalisierung. Wir werden in diesem Jahr die bisherigen Papierakten durch digitalisierte Prozessakten ersetzen. Das ist eine Herausforderung für alle Richterinnen und Richter sowie das nichtrichterliche Personal. Das ist eine Mammutaufgabe, die vor uns liegt. Ansonsten haben wir „business as usual“.
Jutta Siefert: „Business as usual“ - was heißt es konkret? Was wird die Sozialgerichte in diesem Jahr beschäftigen?
Prof. Dr. Rainer Schlegel: Wir werden mit den Fällen zu tun haben, mit denen wir immer zu tun haben - also beispielsweise Rente, Grundsicherung, Sozialhilfe, Beitragsstreitigkeiten und natürlich auch die Vergütung von Krankenhäusern und Ärzten. Speziell mit Blick auf die Pandemie wird auf die Sozialgerichte und dann natürlich auf das Bundessozialgericht zukommen, dass wir uns mit Fragen des Kurzarbeitergeldes beschäftigen müssen. Denn die Bundesagentur für Arbeit fängt erst jetzt an, die Kurzarbeitergeldforderungen spitz zu berechnen, insoweit wird es zu Rückforderungen, vielleicht auch zu Nachforderungen kommen. Und mit diesen Fragen sind natürlich auch Gerichtsprozesse verbunden.
Ein zweiter Punkt, bei dem man allerdings noch nicht absehen kann, wie stark der auf die Sozialgerichte zukommt, ist die berufsbezogene Impfpflicht im Bereich der Gesundheit und der Pflege. Man könnte ja daran denken, dass wenn jemand freigestellt wird, weil er nicht geimpft ist, diese Person mit einer Sperrzeit rechnen muss, also nicht sofort Arbeitslosengeld bekommen wird. Aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Bundesagentur für Arbeit ist zwar zu hören, dass man dort wohl eher davon ausgeht, dass es keine Sperrzeit gibt. Aber ob das tatsächlich so ist, wird man sehen müssen.
Jutta Siefert: Baustelle - Sie hatten es ganz am Anfang aufgegriffen. Die ganze Republik ist eine Baustelle. Wir haben eine neue Bundesregierung und die hat sich auch einige Bauvorhaben vorgenommen, auch im Bereich des Sozialrechts. Was würden Sie als besonders bemerkenswert für uns als Sozialgerichte aufgreifen wollen?
Prof. Dr. Rainer Schlegel: Bei den Bauvorhaben der Bundesregierung, die uns beschäftigen werden, sind zu nennen das Bürgergeld und sicherlich die Kindergrundsicherung. Es gibt noch keine konkreten Baupläne im Koalitionsvertrag. Es ist noch nicht absehbar, wie diese Leistungen, die sicherlich unsere Materien tangieren werden, aussehen werden. Ich rechne nicht damit, dass es vor Ende diesen Jahres zu konkreten Gesetzesbeschlüssen kommt, so dass die Sozialgerichte mit dem neuen Bürgergeld oder auch mit den Umstellungen von Leistungen an Kinder erst im Jahre 2023 zu tun haben werden.
Jutta Siefert: Vielen Dank!